Autor: Achim Fürniss

  • Das Geheimnis der Zahlen

    Das Geheimnis der Zahlen

    Zahlen in der Bibel und jüdische Zahlenmystik
    Von Albrecht Duncker

    In der Bibel kommen viele Zahlen vor. Manche nehmen wir selbstverständlich hin, andere sind uns fremd, wie z.B. die Altersangaben der Menschen im Alten Testament. So wurde Mose z.B. 120 Jahre alt, Abraham 175 Jahre alt. Das kommt uns schon seltsam vor. Viele haben schon gerätselt, was die Zahl 666 im Buch der Offenbarung bedeute. Die Zahl 17 spielt eine auffallend große Rolle, so z.B. bei der Aufzählung der Völkerzahl im Pfingstbericht. Auch die seltsame Zahl 153 beim Fischfang der Jünger im Johannesevangelium hat schon viele verwundert. Schon meine Schüler lächeln immer, wenn man ihnen sagt, dass Gott die Welt in 7 Tagen geschaffen haben soll.

    Wir kennen die Zahlen heute nur aus Bankabrechnungen, Bilanzen, Versandhauskatalogen, Steuererklärungen, Telefonnummern. Zahlen haben bei uns etwas mit Mathematik zu tun. Doch Zahlen haben noch eine andere, tiefere, mystische, symbolische Bedeutung. In früherer Zeit war man sich dessen bewusst. So finden wir in allen Mythen und vielen Märchen eine solche Zahlensymbolik. Dichtern, Baumeistern, Malern und Musikern früherer Zeiten kannten die Geheimnisse der Zahlen. In den Proportionen eines gotischen Doms, einer romanischen Basilika, der ägyptischen Pyramiden, eines griechischen Tempels steckt verborgen die Zahl. Die Zahlen sind für uns heute zum Rechnen da, der tiefere Sinn ist uns abhanden gekommen.

    Deshalb möchte ich versuchen, uns diesen Zugang wieder zugänglich zu machen.

    Warum ist die Zahl mit der Bibel so untrennbar verbunden? Ein Blick auf die Ursprache, das Hebräische, macht dies deutlich. Denn jeder hebräische Buchstabe ist nicht nur Buchstabe, sondern eine Zahl. Man könnte deshalb den alttestamentlichen Text auch in Zahlen schreiben. Die meisten Menschen, die dieses zum ersten Mal hören, sind verwirrt. So etwas hat gerade noch gefehlt: Die Bibel ein kleiner Zahlencomputer. Doch die Zahlen im biblischen Sinn sind keine Statistik, sondern haben einen tieferen Sinn. Und solches gilt auch für die Zahlenwerte der hebräischen Worte.

    Ich möchte Sie mit auf den Weg nehmen durch die Zahlen.

    Aleph – die Eins

    1 א

    Die Eins ist scheinbar einfach. Und doch ist die Eins die geheimnisvollste aller Zahlen. Die Erfahrung der Eins ist uns Menschen entzogen. Gott allein ist der Eine, der Einzige, der für uns Unerreichbare. Er trägt die Eins in sich. So heißt es im jüdischen Glaubensbekenntnis: „Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist einer.“

    Der erste hebräische Buchstabe ist das aleph א. Es bedeutet zugleich die Eins und wird in der hebräischen Sprache nicht ausgesprochen, nur gelesen. Ein Zeichen dafür, dass die Eins das Verborgene, Nichtfassbare ist. Entsprechend wird der Name Gottes im Judentum nicht ausgesprochen. Der Name „Jahwe“ wird deshalb „adonai“ gelesen, „mein Herr“.

    Beth – die Zwei

    2 (ב)

    Gott, der Schöpfer, bringt nun aus dieser Einheit die Zwei in die Schöpfung hinein. Ja er erschafft alles, die gesamte Schöpfung als Zweiheit. „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Es gibt in dieser Schöpfung nichts, das nicht diese Zweiheit, diese Polarität in sich birgt. Alles ist da im Gegensatz: Männlich-weiblich, gut-böse, Licht-Finsternis, rechts-links, gerade-krumm. Der Mensch hat 2 Arme, 2 Beine, 2 Augen. Wir atmen ein und aus, wir wachen und schlafen. Vieles erleben wir im Widerspruch.

    Die Bibel beginnt wohl deshalb mit dem zweiten hebräischen Buchstaben, dem Beth ב. Denn in dieser Zwei zeigt sich die Wesensart der Schöpfung. Im Schöpfungsbericht fällt auf, dass am 2. Schöpfungstag nicht berichtet wird: „siehe, es war gut“. Ist die Zwei nicht gut? Ja, es ist doch so: Alles im Menschen zielt wieder zur Eins hin, zur Einheit, zur Vollkommenheit, zur Harmonie, Frieden, Glück.

    Gimel – die Drei

    3 ג

    Die Zwei ist geprägt von der Ambivalenz, Dualität, die Drei neigt zur Harmonie, zur Zusammenschau des Ganzen. Es ist unglaublich, welche Faszination von der Drei ausgeht. Die Zwei lässt noch vieles offen, die Drei rundet ab, setzt einen Schlusspunkt. Die Drei macht eine Sache rund und richtig.

    Die Drei hat etwas mit Erlösung zu tun. Schon in den Märchen wird dies deutlich: Drei Söhne hat der König, zwei große, erwachsene, gescheite und den kleinen Dritten, den Jüngsten. Oft ist dieser Dritte auch der Dumme, der Träumer, der Taugenichts. Aber dieser Dritte findet den Weg zu den Wassern des Lebens. Zwei hochmütige Schwestern weisen dem Aschenputtel seinen Platz zu, Aschenputtel, die dritte gewinnt den Königssohn. Auch in Sprichwörtern finden wir die Drei: Dreimal klopfen wir auf Holz. Aller guten Dinge sind drei.

    Der Mensch ist ein dreidimensionales Wesen. Was Länge, Breite und Tiefe hat, bekommt einen räumlichen Charakter und kann von unseren Sinnen wahrgenommen werden. Die menschliche Begegnung bringt als Frucht das Kind hervor. Vater – Mutter – Kind, das ist die Urdreiheit der Familie.

    Auch die Götter hat man in den verschiedensten Kulturen als Dreiheiten aufgefasst: Der Hindu verehrt die Dreiheit: Brama – Vishnu – Shiva. Das alte Ägypten kannte mehrere Dreifaltigkeiten: Amun – Mut und Chons, aber auch Amun – Re und Ptah.

    Wir kennen die Drei von der Trinitätslehre: Vater- Sohn und Heiliger Geist. Auch wenn sie erst in früher Zeit (4.Jahdt.) formuliert wurde, geht sie doch auf biblische Zeugnisse zurück. Gott-Vater wird als Schöpfer des Alls verehrt, der Sohn ist Heilbringer und Erlöser, der Heilige Geist ist Tröster und Erneuerer des Glaubens. Schon im alten Testament erscheint die Dreiheit indem 3 Engel zu Abraham kommen und ihm die Geburt des Sohnes verkündigen. Jona wird nach 3 Tagen und Nächten vom großen Fisch an Land gespieen. Christus ist auferstanden am 3. Tag. Der Tod ist besiegt. Aber nicht das alte Leben geht weiter wie bisher. Auferstehung ist eine neue Art des Lebens. „Halte mich nicht fest,“ (Joh 20,17) sagt Jesus zu Maria, als er ihr im Garten erscheint.

    Daleth – die Vier

    4 ד

    Die Zahl Vier repräsentiert die Ordnung dieser Welt. Die Drei ist ein geistiges Prinzip, die Vier die Zahl unserer sichtbaren Welt. Wir kennen 4 Himmelsrichtungen, 4 Jahreszeiten, 4 Mondphasen, 4 Elemente, 4 Evangelisten, 4 Gliedmaßen, 4 Winde, 4 Farben beim Kartenspiel. Die Pyramiden haben Quadrate als Grundlage. Durch das Paradies fließen 4 Flüsse. Der christliche Kalender kennt 4 Adventssonntage, die Fastenzeit dauert 40 Tage. Im Klangbereich der Musik hat die Vierstimmigkeit eine große Bedeutung.

    Die Vier bzw. die Vierzig ist die Zahl dieser Welt, d.h. die Zahl der Diesseitigkeit, die Zeit auch der Angst und Bedrängnis. So muss das Volk Israel 40 Jahre durch die Wüste ziehen, 40 Tage dauert die Sintflut, 40 Stunden dauert die Grabesruhe Jesu, 40 Tage ist Jesus in der Wüste, 40 Tage wandert Elia bis zum Berg Horeb. Nicht von ungefähr dauert eine Schwangerschaft genau 40 Wochen.

    He – die Fünf

    5 ה

    Die Zahl Fünf bildet sich in unserem Körper mehrfach ab: Der Kopf und die vier Gliedmaßen ergeben die Fünf. Unsere Hände und Füße zeigen die Fünf, d.h. besser gesagt jeweils die Eins und die Vier. Wie zuvor schon angedeutet, ist in der hebräischen Sprache jeder Buchstabe auch eine Zahl. So ist der Gottesname Jahwe יהוה  10-5-6-5, also insgesamt die Zahl 26. Eigenartig ist nun, dass wir Menschen ausgerechnet an beiden Händen und Füßen jeweils 26 Knochen haben. Außerdem werden wir von 26 Wirbeln getragen. Damit bildet unser Knochengerüst 5 x den Gottesnamen an unserem Leib ab. Welches Wunder! Auch die Luft, die wir einatmen umhüllt uns mit Sauerstoff und Stickstoff im Verhältnis 1:4.

    Die Fünf weist über diese Erde hinaus. Sie verbindet diese Erde mit dem Himmel. Das räumliche Symbol dafür ist die Pyramide. In der Bibel lesen wir von den 5 Büchern Mose, der Thora. In der Bergpredigt wird uns berichtet, dass Jesus mit 5 Brotlaiben 5000 Menschen sättigt.

    Wir merken, die Zahlen in der Bibel sind keine zufälligen Zahlen. Sie sind nicht nur mathematische Größen. Sie sind nicht nur Nummern. Sie haben einen tiefern Sinn, eine Qualität. Sie wollen uns etwas sagen, „erzählen.“ Leider haben wir diesen Zugang weitgehend verloren. Aber wenn uns die Augen geöffnet werden für diese Zusammenhänge und dass die Zahlen und Zeitangaben in der Bibel anderes aussagen wollen als quantitative Zusammenhänge, welche die Historiker aller Zeiten schon immer vor unlösbare Rätsel gestellt haben, werden diese alten Schriften plötzlich lebendig und reden neu zu uns.

    Waw – Die Sechs

    6 ו

    Gott hat in sechs Tagen die Welt erschaffen. Davon leitet sich die Arbeitswoche des Menschen ab. Der Mensch ist das letzte Schöpfungswerk Gottes, er wurde am 6. Tag erschaffen. Der sechste Tag ist der Freitag. Jesus wurde am 6. Tag ans Kreuz geschlagen. Er starb zur 6. Stunde. Die 6 bedeutet: Es kommt zu einem Schlusspunkt. Es kommt zu einem Ende.

    Die Zahl 666 hat wie kaum eine andere die Gemüter bewegt. Seit Jahrhunderten rätseln Historiker, Theologen über diese Zahl aus der Offenbarung des Johannes, wo von einem Tier die Rede ist, das vom Meer aufsteigt, zehn Hörner und sieben Köpfe hat und dem große Macht gegeben wird. Und dann heißt es:“ Das Zahlzeichen des Tieres ist 666.“(Offenbarung 13,17f.) Übersetzt man den griechischen Namen Cäsar Nero ins Hebräische und zählt den Zahlenwert der Buchstaben zusammen, so ergibt das die Zahl 666. So haben manche zu erklären versucht. Ich denke, man sollte nicht nach historischen Namen suchen, sondern die Zahl als symbolische Aussage begreifen. Die Zahl sechs ist die Zahl des Menschen. Hier wird sie gleich dreimal hintereinander gesetzt. Sie ist verdreifacht, potenziert. Eine potenzierte Sechs bekommt so etwas dämonisches, sie wird zur Übersteigerung. Der Mensch, so ist er, wird gesagt: Noch ist er unerlöst, noch gefangen in seinen Selbstverstrickungen.

    Zajin – die Sieben

    7 ז

    Gott schuf die Welt in 6 Tagen, am 7. Tag ruhte er. Der 7. Tag ist der Sabbat, der Samstag. Wir haben daher die 7 Tage Woche. Die jüdischen Feste dauern in der Regel 7 Tage. Der heilige Leuchter (Menora) ist siebenarmig. Jakob musste 7 Jahre arbeiten, bis er Rahel und Lea heiraten durfte. Jakob deutete den Traum des Pharao mit den 7 fetten und 7 mageren Kühen. Das Vaterunser enthält 7 Bitten. In der Johannesapokalypse wimmelt es nur so von 7 er Gruppen. 7 Fackeln und 7 Geister stehen vor dem Thron Gottes, 7 Posaunen ertönen, 7 Plagen gehen über die Menschheit, usw. Sieben ist so die Zahl der Fülle. Sie sagt: Etwas ist gefüllt, angefüllt, ausgefüllt.

    Chet – die Acht

    8 ח

    Die Zahl 8 ist vielleicht die wichtigste Zahl in der Bibel. 7 ist die Zahl der Fülle, die 8 weist darüber hinaus. Im 1. Buch Mose wird berichtet, dass ausgerechnet 8 Menschen die Sintflut überlebten. Am 8. Tag werden im Judentum die neugeborenen Knäblein beschnitten. Der 8. Tag ist der Sonntag, der Tag der Auferstehung Jesu. Die Zahl 8 weist so hin auf einen Neubeginn. Es geht etwas zu Ende, die ganze alte Welt und nun beginnt etwas Neues, eine neue Ära des Lebens, der Hoffnung und Zuversicht.

    Vor allem die Taufe steht unter dem Zeichen der Acht. Die Taufkapellen haben fast alle eine oktogene (achteckige) Form, die alten Taufsteine sind in der Regel achteckig. In der Taufe bekommt der Täufling Anteil am Leben des Auferstandenen.

    Heute noch werden in der katholischen Kirche Täuflinge mit Öl gesalbt. Auch die Könige im alten Israel wurden mit Öl gesalbt. Der Messias ist der Gesalbte. Wieso spielt in der Bibel das Öl eine so bedeutende Rolle? Weil es so wertvoll ist? Öl heißt im Hebräischen Schemen, Acht heißt Schmona. Beide Wörter haben die gleichen Konsonanten, werden ؎؍׳׀geschrieben, haben also einen inneren Zusammenhang. Öl braucht auch bei der Herstellung 8 Tage, bis es Öl wird. Öl ist also eine Erscheinungsform, ein Zeichen des Neuen, der neuen Welt, der Rettung.

    Weitere Hinweise

    Und hier finden Sie mehr

    Zahlen sind Hinweise auf mehr, auf Tieferes, auf Anderes. Viele Zahlen in der Bibel wollen nicht historisch, nicht mathematisch verstanden wissen, sondern sind Sinnbilder. Wieso hat man so erzählt? Nicht weil man es nicht anders hätte sagen können, sondern weil die Zahlen mit uns zu tun haben, mit uns Menschen, mit dieser Welt, mit dem ganzen Kosmos. Deshalb erzählen alle Kulturen, alle Religionen von diesen Zahlen, auch die Musiker, die Baumeister, die Märchenerzähler. Überall sind sie da, sind sie zu verstehen.

    Ich hoffe, ich habe mit dieser Reihe über die Zahlen einen kleinen Einblick in die Welt der Zahlen geben können. Wer mehr darüber erfahren möchte, möge sich in eines der folgenden Bücher hineinlesen:

    • Otto Betz: Die geheimnisvolle Welt der Zahlen, Kösel Verlag.
    • Jürgen Werlitz: Das Geheimnis der Heiligen Zahlen, fourier Verlag.
    • Friedrich Weinreb: Buchstaben des Lebens, Thauros Verlag.
    • Friedrich Weinreb: Zahl, Zeichen, Wort, Thauros Verlag.
    • Irmgard Hess: …und nicht die ewige Verdammnis, Vier-Türme-Verlag Münsterschwarzach.

    Albrecht Duncker war bis zu seinem Ruhestand Pfarrer in Weissach im Tal und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit jüdischer Zahlensymbolik.

  • Was ist Glück?

    Was ist Glück?

    Wie kann ich glücklich sein? Kein anderes Thema scheint uns mehr zu beschäftigen als dieses. Es gibt so vieles, was uns eigentlich glücklich machen sollte. Aber sind die Menschen deshalb heute glücklicher?

    Was kann ich tun, um glücklich zu sein? Kein anderes Thema scheint unsere Gesellschaft heute mehr zu beschäftigen als dieses. Es gibt so vieles, was uns eigentlich glücklich machen sollte: wir haben meist mehr als wir zum Leben brauchen, wir haben die reelle Chance auf ein gesundes und langes Leben und wir dürfen uns über viele Annehmlichkeiten des Lebens erfreuen, von denen Menschen anderswo nur träumen können. Und dennoch lässt sich in unserem Land ein eigenartiges Phänomen entdecken. Die Menschen sind nicht glücklicher geworden mit dem Wohlstand. Im Gegenteil: Sie scheinen das Gefühl des Glücklichseins, des ausgefüllten und gelungenen Lebens mehr zu vermissen als je zuvor.

    Eine lange Liste von Ratgebern scheint den glücklosen Menschen unserer Zeit Nachhilfeunterricht in Sachen Glück zu versprechen. „Sorge dich nicht, lebe“ heißt es in dem Bestseller von Dale Carnegie. Seine Empfehlung zum Thema: „Dem Leben Richtung geben“.

    Andere geben den Rat: „Loslassen und glücklich sein“. Unser Leben scheint zu voll, zu überladen von allem. „Simplify your life“ fordert uns der christliche Karikaturist Werner Küstenmacher und der Unternehmensberater und Zeitsparer Werner Seiwert auf. Alles läuft auf die eine Frage hinaus, die immer mehr Menschen in der Welt des Überflusses bewegt: „Was brauche ich wirklich?“ – auch ein Buchtitel, der uns empfiehlt, inneren und äußeren Ballast abzuwerfen und wieder unbeschwert zu leben (Hildegard Kessel, Was ich wirklich brauche).

    „Es gibt nur zwei Wege zum Glück“, lehrt uns der Dalai Lama, ebenfalls Bestsellerautor in Sachen Glück. „Der erste ist äußerlich“, schreibt er, wir erreichen ihn durch bessere Lebensbedingungen, die uns ein gewisses Maß an Glück und Zufriedenheit bescheren, uns aber immer wieder unbefriedigt lassen, wenn es an der Befriedigung ermangelt. Wir brauchen stets neue Befriedigungen und werden nie genug bekommen, auch wenn wir schon mehr als genug davon besitzen. Der erste Weg kann nie ohne den zweiten auskommen: Das ist der innere Weg der geistigen Entwicklung. Die luxuriöseste Umgebung kann uns nicht zufrieden stellen, wenn wir nicht auch diesen Weg zum Glück kennen; „Wenn wir geistigen Frieden haben, dann können wir Glück auch unter den schwierigsten Umständen finden“, schreibt der Friedensnobelpreisträger.

    Eine eigenartige Form des Glückes ist es auch, die uns Jesus zu Beginn seiner Bergpredigt in den Seligpreisungen gibt (Matth. 5,1-10). Er preist die Menschen glücklich, die wir für die Unglücklichsten unter uns halten würden: die Armen, die Hungrigen, die Leidgeprüften oder die Verfolgten. Eigentlich ist das alles so ziemlich das Gegenteil von dem, was wir als Glück bezeichnen würden. Es befremdet uns, gerade in der Entbehrung den Weg zum Glück zu erkennen. Wer es selbst je erfahren hat, kann ein Lied davon singen, dass Armut kein erfreulicher Zustand ist. Oder Hunger, ein Zustand, den immer noch ein unerträglich großer Teil der Weltbevölkerung ertragen muss. Auch Verfolgung ist ein schlimmes Schicksal. Wenn man sich an keinem Ort sicher fühlen kann und stets in Angst leben muss. Man wird hier wohl kaum von Glück reden können.

    Jedenfalls wissen diese Menschen, was sie nicht haben und wonach sie sich mehr denn je sehnen. Das könnte Jesus gemeint haben, wenn er ihnen das Glück zuspricht. Es wäre dann so etwas wie eine Verheißung für ihr geschundenes Leben, ein Funke Hoffnung für ihr trostloses Dasein. Wer die Armut kennen gelernt hat, der weiß selbst den kleinsten Reichtum zu schätzen; wer selbst einmal den Hunger erlitten hat, der kann auch dem einfachsten Stück Brot noch etwas ausgesprochen Wertvolles abgewinnen; wer selbst immer wieder in seiner Gutmütigkeit ausgenutzt wurde, der wird sich darüber freuen, dass Menschen wie ihm das Erdreich zugesprochen wird.

    Es ist wohl schon so, dass die Erfahrung des Glücks mit der Erfahrung des Mangels zu tun hat. Aber müssen wir darum auf alles verzichten, um glücklich zu sein? Müssen wir uns das Unheil geradezu herbeiwünschen, um das Heil zu erfahren? Nein, ich denke nicht. Jesus liebt es einfach, die Dinge umzudrehen. Das Reich Gottes, das mit seinem Kommen anbricht, besteht darin, dass es die Welt auf den Kopf stellt: „Die ersten werden die letzten sein und die letzten die ersten; und wer mir nachfolgt, wird nicht herrschen, sondern dienen“.

    Das ist eine durchaus realistische Erfahrung auf dem Weg zum Glück. Wenn wir nicht immer die Schnellsten auf der Autobahn sein müssen, dann können wir ganz ruhig und gelassen unseren Weg ziehen und dabei durchaus zufriedener und glücklicher sein. Wir müssen uns auch nicht ständig über die Dinge aufregen, wie wir ohnehin nicht ändern können. Dann können wir das Glück empfinden, die Dinge so zu sehen wie sie sind.

    Und wenn wir nicht alles haben müssen, weil die anderen haben, dann werden wir die glückliche Erfahrung machen, dass wir ohne dieses oder jenes genauso oder noch glücklicher sein können. Dabei kann es wirklich eine entlastende Erfahrung sein, unser Leben zu vereinfachen und uns von den Dingen in unserem Leben zu trennen, die uns das Leben unnötig schwer machen.

    Drehen wir die Sätze einfach wieder herum, wie es Judith Sixel in ihren Versen getan hat, und dann verstehen wir vielleicht was Jesus meinte:

    • „Selig, die bereit zum Aufbruch sind,
      denn in ihnen wird neues Leben aufbrechen,
      selig, die ein Ziel haben, das höher ist als sie,
      denn sie haben Grund nach oben zu schauen.“

    Die Seligpreisungen sind die Eröffnungssätze zu Jesu Rede über seine Vorstellung vom ganz anderen, neuen Leben im Reiche Gottes. Da wird uns zunächst ganz viel zugesprochen. Und denen noch viel mehr, die wenig haben. Wir können wachsen, weil wir empfangen, wir können getröstet sein, weil wir Zuspruch erhalten haben. Wir können uns satt fühlen, weil wir so reichlich empfangen haben, dass wir das Glück mit anderen teilen können. Und wir können ohne Angst leben auch in der größten Bedrohung, weil wir die Herrschaft Gottes über diese glücklose Welt schon längst als unser Glück erkannt haben.

    Was ist also Glück? Wie können wir Zufriedenheit und Erfüllung in unserem Leben finden? Wir werden es wissen, wenn wir den Weg mit den Armen teilen, wenn wir den Menschen nahe sind, die Leid erfahren, wenn wir denen Raum geben, die verfolgt werden, oder die Hungrigen mit unserem Überfluss sättigen.

    Glück lässt sich dort erfahren, so die Seligpreisungen Jesu, wo wir es am wenigsten erwarten. Indem wir teilen, was uns geschenkt wurde, indem wir weitergeben, was auch uns beglückt hat, indem wir erfahren, welch überwältigende Erfahrung es ist, einen anderen Menschen glücklich zu machen.

    Achim Fürniss

  • Die verlorenen Worte Jesu

    Die verlorenen Worte Jesu

    Eine kleine Blütenlese bemerkenswerter Jesusworte, die nicht Eingang in das neue Testament gefunden haben, aber von den Kirchenvätern und den frühen Schriften der Christenheit überliefert wurde, finden Sie hier …

    Papyrus 75 - Ende des Lukas- und Anfang des Johannesevangeliums. Eines der ältesten Textfragmente des Neuen Testamentes - Quelle: https://digi.vatlib.it/view/MSS_Pap.Hanna.1(Mater.Verbi)/0016, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12394276
    Papyrus 75 – gemeinfrei – Quelle Wikipedia (s.u.)

    Hast du deinen Bruder gesehen, so hast du deinen Gott gesehen.
    Was einer für sich Schönes will, das soll er auch für den Nächsten wollen.



    Solche und andere „verlorene“ Worte finden wir in zahlreichen Zeugnissen der Kirchenväter und in Handschriften der frühen Christenheit. In der Tat wurden die Worte Jesu noch über viele Jahrzehnte nach der Abfassung und Kanonisierung des Neuen Testamentes einzeln weiter gegeben bevor sie dann durch die Aurorität der Heiligen Schriften nach und nach verdrängt wurden und in Vergessenheit gerieten.

    Auch aus der Zeit vor der Abfassung der Evangelien kennen wir diese Weitergabe einzelner Jesusworte in Spruchsammlungen, wie der Logienquelle „Q“ oder dem apokryphen Thomasevangelium.

    Die Echtheit dieser „verlorenen“ Worte Jesu ist durchaus vergleichbar mit denen der kanonischen Evangelien. Auch hier unterscheiden Fachleute die Worte Jesu, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf den Nazarener zurückgehen von denen, die ihm offensichtlich in den Mund gelegt wurden, wahrscheinlich um eine bestimmte Absicht des Evangelisten oder früherer Redaktionsschichten zu befriedigen.

    Die von der Forschung festgelegten Prinzipien können aber auch auf andere Schriften angewendet werden. Die frühe Abfassung, die Glaubwürdigkeit des Autors, die besondere Lesart oder die Originalität des Zeugnisses weisen dann auf einen Zusammenhang mit der Lehre Jesu hin, die seine Urheberschaft wahrscheinlich machen.

    Zu beweisen ist diese freilich nicht, genausowenig wie im Neuen Testament. Nur genießt dieses auf Grund seiner Kanonisierung eine viel höhere Bedeutung. Wer sich dem Reiz der Worte aber nicht verschließt, wird den Geist des Rabbis aus Nazareth dennoch in ihnen wiederfinden und sie als wunderbare Ergänzug zu den Worten der Bibel lesen.

    Eine kleine Blütenlese soll Ihnen hier Geschmack an den Worten machen. Sie stammen vor allem aus der schon klassischen Sammlung von Benedikt Godeschalk (Die versprengten Worte Jesu), dem Thomasevangelium oder aus anderen Zeugnissen der frühen christlichen Literatur.
     

    • Wie ihr gütig seid, so wird man auch zu euch gütig sein. (Clemens von Rom, Roman. I,13,).
    • Es spricht der Herr: Siehe, ich mache das Letzte wie das Erste. (Barnabasbrief 6,13)
    • Die mich sehen und mein Reich ergreifen wollen, die müssen mich unter Trübsal und Leiden in Besitz nehmen. (Barnabasbreif 7,11).
    • Werdet kluge Geldwechsler, das eine verwerfend, das Gute aber behaltend. (Clemens Alexandrinus, Stromata I,28).
    • Bittet um das Große, und das Kleine wird euch hinzugegeben werden und bittet um das Himmlische, und das Irdische wird euch hinzugegeben werden. (Origenes, de oratione 2).
    • Wer bei mir ist, der ist beim Feuer; wer von mir ferne ist, der ist fern vom Reich. (Origenes, Homilia in Jeremiam 20,3 vgl. Thomas Ev. 82).
    • Um der Schwachen willen ward ich schwach und um der Hungerden willen hungerte ich und um der Dürstenden willen dürste ich. (Origenes, in Matth. 13,2).
    • Betrübt nicht den heiligen Geist, der in euch ist und löschet nicht das Licht, das in euch angezündet ist. (Pseudo-Cyprianus, de aleator. 3).
    • Das Schwache wird durch das Starke gerettet werden. (Judicum Petri 26).
    • Trachtet nach Glauben und Hoffnung, durch welche erzeugt wird die Liebe zu Gott und Menschen, die das ewige Leben gibt. (Macarius, Homilia XXXVII, initio.).
    • Es spricht Jesus: Ich trat auf inmitten der Welt und erschien ihnen im Fleische und fand alle trunken und keinen unter ihnen fand ich dürstend und meine Seele ist betrübt über die Menschenkinder, dass sie blind sind in ihrem Herzen und nicht sehen, arm und ihre Armut nicht kennen. (Papyrus Grenfell & Hunt, Logion I,3 vgl. auch Thomas Ev. 28).
    • Ein Prophet ist nicht willkommen in seiner Heimat und der Arzt verrichtet keine Heilungen an seinen Bekannten. (Papyrus Grenfell & Hunt, Logion I,6).
    • Selig sind die, welche über das Verderben der Ungläubigen trauern. (Syr. Didascalie, ed. Achelis und Flemming V.15)
    • Hast du deinen Bruder gesehen, so hast du deinen Gott gesehen. (Clemens von Alexandrien, Strom. I, 19)
    • Wenn ihr das Kleine nicht bewahrt habt, wer wird euch das Große geben? Ich sage euch: wer im Keinsten treu ist, der wird auch im Großen treu. (Clemens, Rom. II,8,5).
    • Als der Herr von jemand gefragt wurde, wann das Reich kommen werde, sagte er: Wenn die Zwei eins werden, das Äußere wie das Innere, das Männliche zusammen mit dem Weiblichen, weder männlich noch weiblich sein wird. (Clemens, Rom. II,12,2).
    • Die Heiden sind gerechtfertigt mehr als ihr. (Apostol. Konstitutionen II,60).
    • Was einer für sich Schönes will, das soll er auch für den Nächsten wollen. (Pseudo-Clement. Homilien 7,4).
    • Schwitzen soll das Almosen in deinen Händen, bis du erkannt hast, wem du es geben sollst. (Didache I,6).
    • Des Menschen Sohn kam heute und fand das Verlorene. (Clemens Alex. Strom.IV,6,35).
    • Wer seinen Bruder haßt, verjagt und ihm keine Beachtung schenkt, den wird Gott verachten und verwerfen. (Epistola Apostolorum, 38).
    • Jesus sprach: Erkenne, was du vor Augen hast und was dir verborgen ist, wird dir enthüllt. Denn es gibt nichts Verborgenes, das sich nicht offenbaren wird. (Thomas Ev. 5).
    • Jesus sprach: Ich werde euch geben, was kein Auge gesehen und was kein Ohr gehört und was keine Hand berührt und was kein menschlicher Geist sich je erdacht hat. (Thomas Ev. 17).
    • Die Schüler sprachen zu Jesus: Sage uns, wie wird unser Ende sein? Jesus sprach: Habt ihr denn den Anfang entdeckt, dass ihr das Ende sucht? Denn wo der Anfang ist, dort wird auch das Ende sein. Selig, wer seinen Platz am Anfang behält, er wird das Ende kennen und den Tod nicht erfahren. (Thomas Ev. 18).
    • Jesus sprach: Liebe deinen Bruder wie deine Seele, hüte ihn wie die Pupille deines Auges. (Thomas Ev. 25)
    • Jesus sprach: Werdet Vorübergehende! (Thomas Ev. 42).
    • Jesus sprach: Wer das ganze All kennt und kennt sich selbst nicht, der kennt das All nicht. (Thomas Ev. 67).

    Quellen:
    Die Versprengten Worte Jesu, Benedikt Godeschalk, Hyperion-Verlag, Freiburg, 1959
    Das Thomas Evangelium, übersetzt von Christoph Greiner, Genius-Verlag Oberstaufen, 1998

    Abbildung:

    Papyrus 75 – Ende des Lukas- und Anfang des Johannesevangeliums. Eines der ältesten Textfragmente des Neuen Testamentes – Quelle: https://digi.vatlib.it/view/MSS_Pap.Hanna.1(Mater.Verbi)/0016, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12394276

  • Magnificat: Das Loblied der Erniedrigten

    Magnificat: Das Loblied der Erniedrigten

    Das Magnificat als Loblied auf das Kommen des Herrn, der Umkehrung der Verhältnisse und das Vorbild einer jungen Frau…

    Wir lieben sie und wir können sie trotzdem oft nicht mehr hören, die Advents- und Weihnachtslieder, die wir überall in diesen Tagen zu hören bekommen. Das älteste und vielleicht das erste aller Adventslieder ist jdoch schon zweitausend Jahre alt und ist den meisten Leuten leider unbekannt. 

    Liebhaber klassischer Musik oder des geistlichen Chorgesanges kennen es wohl aus den großartigen Kompositionen Antonio Vivaldis oder Johann Sebastian Bachs. Es ist als Chorwerk bekannt geworden unter dem Lateinischen Namen des ersten Wortes dieses Liedes: Magnificat (Erhoben sei). Und nur wer sich intensiv mit spirituellen Wegen beschäftigt weiß, dass dass das Lied im Stundengebet seit Jahrhunderten jeden Abend mit der Vesper gesungen wird.

    Bibelkundige kennen das Lied als Lobgesang der Maria im schönen ersten Kapitel des Lukasevangeliums, ein herrlicher, farbiger und würdiger Auftakt zur Geschichte der Geschichten. „Meine Seele erhebet den Herrn“ Magnificat anima mea, ich will ihn groß machen, will ihn loben, der das Geringe und Verachtete anschaut und aufrichtet. Es steht in Lukas 1 die Verse 47 bis 56.

    Meine Seele erhebt den Herrn,
    und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes;
    denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.
    Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.
    Denn er hat große Dinge an mir getan,
    der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
    Und seine Barmherzigkeit währet für und für
    bei denen, die ihn fürchten.
    Er übt Gewalt mit seinem Arm
    und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
    Er stößt die Gewaltigen vom Thron
    und erhebt die Niedrigen.
    Die Hungrigen füllt er mit Gütern
    und lässt die Reichen leer ausgehen.
    Er gedenkt der Barmherzigkeit
    und hilft seinem Diener Israel auf,
    wie er geredet hat zu unsern Vätern,
    Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit.

    2.

    Zwei Frauen begegnen sich: Die ältere, Elisabeth, erwartete endlich ein Kind. Schon so lange hatte sie darauf gewartet. Wie viele Gebete hatte sie heimlich zu Gott gesprochen, er möge ihr doch endlich ein Kind schenken. Fast zu alt für eine Geburt darf sie nun das Glück erfahren, einem Kind das Leben schenken zu dürfen. Und nun war es so weit. 

    Und auch die jüngere, Maria, erwartet ein Kind. Sie ist eigentlich noch zu jung dafür, gerade einem Mann versprochen, in jugendlichem Alter. Völlig unerwartet wird sie schwanger, trägt das belastende Geheimnis der nahen Geburt nun in sich, wird es bald nicht mehr verbergen können. Elisabeth, eine Verwandte der Maria (Lk. 1,36), vielleicht ihre Tante, wird sie verstehen.

    Und auch im Größeren stehen Elisabeth und Maria für das Alte und das Neue, für ein endendes und ein beginnendes Zeitalter. Johannes, der Sohn Elisabeths wird der letzte der Propheten genannt werden, der die nahe Ankunft des Gesalbten Herrn ankündigen wird. Über Jahrhunderte hatten die Propheten vom kommenden Zeitalter geweissagt, nun ist es ganz nahe herbei gekommen. 

    In Jesus, dem Sohn der Maria, erfüllt sich ihre Weissagung. Das Zeitalter der Erfüllung bricht an.

    Die Zeit des Wartens, die so lange schwanger ging, die Schmerzen und Wehen ertragen musste, sie geht nun zu Ende. Wer die Hoffnung auf eine Erfüllung der frohen Botschaft der Propheten mit sich trug, und wer unter dem Leid, der Gewalt und der Grausamkeit unserer Welt gelitten hatte, wird nun in der Geburt dieser beiden Kinder in seiner Hoffnung bestärkt. Es kommt völlig überraschend, für beide Mütter bricht es in ihre Welt hinein, ist plötzlich da. Und wie immer wenn ein Kind geboren wird, wird es unsere Welt verändern.

    3.

    Magnificat. Das Lied das Maria singt, erinnert an das Loblied der Hanna im ersten Buch Samuel. Und so gesehen könnte es ursprünglich eher das Lied der Elisabeth gewesen sein. Ausleger vermuten das 1, denn Elisabeth ging es ja wie Hanna, der Frau Elkanas, die einfach keine Kinder bekommen konnte. Wenn wir uns vergegenwärtigen, wie sehr der Status einer Frau in früheren Zeiten mit der Geburt ihrer Kinder verbunden war, allzumal der Söhne,dann können wir verstehen wie es Hanna oder auch Elisabeth erging.

    Hanna wird nach langem Warten ein Sohn geschenkt, Samuel ist sein Name, „Ich habe ihn vom Herrn erbeten“. Mit Samuel beginnt die lange Reihe der Propheten, die mit der Hoffnung auf das Kommen des Reiches Gottes in einem gerechten Herrscher verbunden waren. Samuel ist es, der die ersten Könige salbt, Saul und David, unvergesslich ist sein Name mit dem Geschlecht Davids verbunden, aus dem auch Jesus später hervorgeht.

    „Mein Herz ist fröhlich in dem HERRN, 
    mein Haupt ist erhöht in dem HERRN.
    Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde,

    denn ich freue mich deines Heils.
    Es ist niemand heilig wie der HERR,

    außer dir ist keiner, und ist kein Fels, wie unser Gott ist. …
    Der Bogen der Starken ist zerbrochen,

    und die Schwachen sind umgürtet mit Stärke.
    Die da satt waren, müssen um Brot dienen, 
    und die Hunger litten, hungert nicht mehr. 
    Die Unfruchtbare hat sieben geboren, 
    und die viele Kinder hatte, welkt dahin. …
    Der HERR macht arm und macht reich; 
    er erniedrigt und erhöht.
    Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub 
    und erhöht den Armen aus der Asche, 
    dass er ihn setze unter die Fürsten 
    und den Thron der Ehre erben lasse. …
    Er wird behüten die Füße seiner Heiligen, 
    aber die Gottlosen sollen zunichte werden in Finsternis;
    denn viel Macht hilft doch niemand.
    …Der HERR wird richten der Welt Enden. 
    Er wird Macht geben seinem Könige 
    und erhöhen das Haupt seines Gesalbten.“

    (aus 1. Samuel 2, 1-10)

    Die Ähnlichkeit ist verblüffend und es wird wieder einmal deutlich wie stark die Verfasser der Evangelien die Geschichte und Botschaft Jesu als Vollendung, als Erfüllung der Verheißung gesehen haben.

    Was Hanna, die Mutter Samuels, ganz zu Beginn der messianischen Verheißung gesungen hat, wird von Maria, der Mutter Jesu, des Christus, des Gesalbten!, zum Ausdruck gebracht. Wie das Kind nach langen Monaten des Wartens nun endlich da ist, so wird auch die Verheißung, die Hoffnungen der Menschheit auf Erlösung, auf Friede und Umkehr der Verhältnisse nun endlich wahr werden. Magnificat, gelobt sei der Name des Herrn. Da hüpft das Kind im Bauche der Elisabeth, der Mutter des letzten der Propheten. Vom messianischen Geist erfüllt, preist sie die Mutter des Herrn: „Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes“ (V. 42), „selig bist du. Die du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist vom Herrn“ (V45)

    4.

    Eine der schönsten Auslegungen des Magnifacts, des Loblieds der Maria, stammt von Martin Luther, die er in den Reformationsjahren 1521 geschrieben hat. Es überrascht immer wieder mit welcher Hingabe der junge Luther von der Mutter Jesu redete: „So macht es auch hier die feine Mutter Christi und lehrt uns durch das Beispiel ihrer eigenen Erfahrung und durch ihre Worte, wie man Gott erkennen, lieben und loben soll.“2 Erst nach und nach verliert sich das Gedächtnis und die Verehrung der Mutter Jesu im protestantischen Bereich. Auch über die Reformation hinaus wurden die Marienfeste Mariä Lichtmess (2. Februar), Mariä Verkündigung (25. März) und Mariä Heimsuchung (2. Juli) als Gedenktage im evangelischen Bereich gefeiert. Doch erst mit der Aufklärung verschwinden die Marienfeste aus dem protestantischen Bewusstsein und unser Text wandert vom 2. Juli auf den 4. Advent kurz vor Weihnachten. 3

    Luthers Auslegung kreist um die Hoheit Gottes und die Demut Mariens. Entscheidend ist dabei die Blickrichtung. Während wir Menschen immer auf das Erhabene, auf das Wertvolle, auf das Edle und Noble schauen, schaut Gott auf das Niedrige, das Verachtete, das Verlorene. Der Blick der Menschen gehe immer nur nach oben, sagt Luther. Sie richteten sich nach den Mächtigen, nach den Menschen mit Ruhm und alle würden sie da oben gerne sitzen und mit dazu gehören. „Die Augen der Welt und der Menschen .. sehen nur über sich und wollen durchaus sich nach oben hin richten“ sagt Luther. „Das erfahren wir täglich, wie jedermann nur über sich hinausstrebt nach Ehre, Gewalt, Reichtum, Wissen, Wohlleben und allem, was groß und hoch ist“.4

    Gottes Blickrichtung ist eine andere. Gott, der der höchste ist und dem niemand gleich ist schaut darum nicht nach oben und auch nicht auf seine Höhe; sein Blick richtet sich immer nur nach unten. „Daher kommt’s, dass Gottes Augen nur in die Tiefe, nicht in die Höhe sehen … Denn weil er der Allerhöchste ist und es nichts über ihm gibt, kann er nicht über sich sehen; er kann auch nicht neben sich sehen, weil ihm niemand gleich ist. Darum muss er notwendig in sich selbst und unter sich sehen, und je tiefer jemand unter ihm ist, desto besser sieht er ihn.“ Diese Blickrichtung Gottes, die sich besonders den niederen, den verachteten und verlorenen Menschen zuwendet ist den gewöhnlichen Menschen fremd. „Niemand will in die Tiefe sehen, wo Armut, Schmach, Not, Jammer und Angst ist; da wendet jedermann die Augen weg“ stellt Luther fest 5.

    Wie wenig sich da bis heute geändert hat. „Wo solche armen und elenden Leute sind, da läuft jedermann davon, da flieht, da scheut, da verlässt man sie, und niemand denkt daran, ihnen zu helfen, beizustehen und zu machen, dass sie auch etwas sind.“ Dabei hat Gott doch schon am Anbeginn aus dem Nichts in der Schöpfung alles erschaffen. Zu ihm fließt das Lob wieder zurück, hinauf zum Schöpfer, wie ihn Maria preist. Nicht sich selbst will sie erheben, sondern Gottes Lob erhebt ihre Seele, ihn will sie groß machen. Darum muss ihr Sohn auch ganz hinab in die Verlorenheit, muss Schmach, Folter und Tod erleiden, auf dass Gott gerade hier unter den niedersten und verlorensten Menschen sein Werk der Liebe wirke.

    Maria wird uns darin ein Vorbild, weil sie in ihrer Niedrigkeit dennoch die Worte Gottes in sich aufnimmt und Gott dadurch wirken lässt. Und trotzdem ist es nicht sie, auf das sich unser Blick lenken soll, sondern Gott selbst, der durch sie handelt. Luther dazu: „was meinst du, dass ihr Lieberes begegnen mag, als dass du durch sie zu Gott kommst und an ihr lernst, auf Gott zu trauen und zu hoffen, wenn du auch verachtet und vernichtet wirst, worin immer das geschehe im Leben oder Sterben? Sie will nicht, dass du zu ihr kommst, sondern du, durch sie, zu Gott.“ 6

    5.

    Maria unser Vorbild? Gerade arme und rechtlose Menschen mögen sich mit ihr verbunden fühlen. „Viele Christen in Lateinamerika bringt sie ihre geraubte und geschändete Ehre wieder. Sie ist eine von ihnen. Sie stammt aus der Favela, (aus dem einfachen Volk). Sie zieht umher und ist verbannt wie sie. In ihr erkennen sie sich wieder, die verstoßen sind wie sie und die von den Behörden keine Rücksicht erfahren trotz Schwangerschaft und Niederkunft – wie sie.“ 7

    „Sie, diese junge Frau und Mutter verschweigt nicht, dass unmenschliche Machtverhältnisse die Menschen beherrschen“ 8 Wie schon die Blickrichtung Gottes eine andere ist als die der Menschen, so spricht das Lobgebet der Magd Gottes von einer Umkehrung der Verhältnisse: Gott holt die Mächtigen von Thron und setzt die niedrigen ins Recht. Er beschenkt die Hungrigen mit seinen Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen (V52+53). „Wer so singen kann, muss vor den Gewaltigen nicht verstummen.“ 9 „Es war folgerichtig, wenn in Lateinamerika Anhänger der Befreiungstheologie Bilder von Maria und Drucke ihres ‚Magnificat‘ bei sich trugen. Die demütige Madonna (wie sie die katholische Kirche immer gern predigte A.d.R) eine Umstürzlerin?“ 10

    Für den Evangelisten Lukas, dessen Evangelium gerne als das Evangelium der Armen bezeichnet wird, ist dieses Lied zu Beginn seiner Geschichte Jesu fast wie ein Programm. Maria nimmt hier die Reich Gottes Botschaft Jesu schon vorweg. Und der Weg zum Kreuz ist damit ebenso schon vorgezeichnet. Gott wendet sich den Schwachen zu und wird selber schwach dabei, wir haben es vorhin in der Lesung des Apostel Paulus gehört. 

    Was also können wir von Maria lernen? Was hat uns das altehrwürdige Magnificat heute noch zu sagen? Wer in seinem Leben versucht, Einfluss, Besitz und sein Image zu bewahren, der wird nicht so sprechen können wie Maria. „Er wird die Sprengkraft, die in diesen Worten steckt, abwehren, versuchen sie umzudeuten – oder aber, er lässt sich verunsichern und beginnt sein Leben zu überdenken. Gottes Barmherzigkeit geht an den ‚Niedrigen‘ nicht vorbei, sondern kommt in ihnen selbst zum Zuge (vgl. Lk. 6,20ff). Das Wissen darum gibt Menschen die Kraft, sich nicht zufrieden zu geben mit dem, was sie vorfinden. (In einem Graffito an der Berliner Mauer war zu lesen) ‚Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt‘ (Graffito an der Berliner Mauer).“ 11

    ——————————————————————

    (1) „Es ist eine offene Frage, ob er (sc. der neutestamentliche Pslam a.d.R.) ein Lied der Elisabeth war und erst zu einem solchen der Maria geworden ist oder ob er von Anfang an als Lied der Maria gedacht war. Einige Texte lesen: ‚Elisabeth sprach’“ Für die Zuordnung zu Elisabeth sprächen die Anklänge an das Hannalied, deren Lage der Elisabeth und nicht der Maria entspreche und die prophetische Inspiration der Elisabeth. Vgl. Walter Grundmann, Das Evangelium nach Lukas ThHK NT, Bd 3, Berlin 1961, 9.Aufl. 1981, S. 63f)

    (2) Martin Luther, Das Magnifikat, Band 9 der Calwer Ausgabe, Stuttgart 1996, S.26

    (3) Peter Kreyssig in Predigtstudien I, 1990, S. 43

    (4) Luther a.aO. S. 24

    (5) ebenda

    (6) Luther, aaO. S. ?

    (7) Rolf Steinhilper, Evang. Morgenfeier am 2.11.1986 in SDR1

    (8) ebenda

    (9) ebenda

    (10) Arnd Bäucker, Junge Frau mit sich im Reinen, Sonderbeilage Stuttgarter Nachrichten, Weihnachten 2003

    (11) Annette Boley in Predigtstudien I,1, Stuttgart 1996 S.41

    Bild: Magnificat im Tauffenster der Walterichskirche in Murrhardt. Foto: beim Verfasser

  • Trinität – nur ein Gedankenspiel?

    Trinität – nur ein Gedankenspiel?

    Das schwierige Nachdenken über die christliche Trinitätslehre und das Wesen des biblischen Gottesbildes…

    Vom Heilgen Patrick, dem Apostel der Iren wird erzählt, dass er in den düsteren Zeiten des frühen Mittelalters die Stammesfürsten der Iren und den Hochkönig von Cashel mit einem dreiblättrigen Kleeblatt vom Mysterium der Dreieinigkeit überzeugt haben soll. Noch heute tragen Iren ein Sträußchen des hoch wachsenden irischen Klees am St. Patricksday (17. März) mit sich. Und immer, wo sich mehr als drei Iren an diesem Tag treffen, wird jenem Heiligen ein Fest gefeiert, egal wo man sich begegnet auf dieser Welt.

    Schwierige Vorstellung

    Die drei Blätter an der selben Pflanze symbolisieren die Einheit und die Verschiedenheit des Göttlichen. Und immer wieder kommt man in Verlegenheit , wenn man erklären soll, wie man sich das vorzustellen habe. Ist Gott nicht einer – wieso begegnet man ihm dann in verschiedener Gestalt? Von Moslems zurückgewiesen, von Skeptikern belächelt, für Zweifler ein unlogischer Unsinn, von Kritikern des Christentums abgelehnt, gehört die Trinitätslehre dennoch zu den Lieblingsthemen der christlichen Theologie.

    Freilich, die einfachen Gläubigen tun sich schwer damit. In Umfragen über das Wissen über die christlichen Glaubensinhalten rangiert die Trinitäslehre auf einer der unteren Plätze. Nur sieben Prozent in einer SPIEGEL-Umfrage geben an, mit der Dreieinigkeit etwas anfangen zu können. Für viele andere ist sie schlichtweg unnötig.

    Nicht verstehen, sondern anbeten

    Was bedeutet also Trinität und warum hat sie solch eine große Bedeutung, dass man das halbe Kirchenjahr die Sonntage nach dem Fest Trinitatis benennt.

    Der Reformator Philipp Melanchthon meinte einmal, man solle die Trinität nicht ergründen sondern anbeten. („Mysteria divinitatis rectius adoraverimus quam investigaverimus“. Zu deutsch: „Die Geheimnisse der Gottheit sollten wir lieber anbeten statt sie ergründen zu wollen.“ In den Loci Communes von 1521). So taufen wir Kinder auch auf den dreieinigen Gott, beginnen jeden Gottesdienst im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, bekennen Gott mit dem dreigliedrigen Glaubensbekenntnis und beenden den Gottesdienst mit einer dreifachen Segensbitte.

    Erklärung des biblischen Gottesbildes

    Doch auch das stellt uns nicht ganz zufrieden. Wollen wir doch verstehen, was wir glauben und uns nicht einfach mit einer Formel zufrieden geben, die uns seit Jahrhunderten zwar vertraut, aber dem Inhalt nach fremd geblieben ist.

    Für die Theologie ist die Trinitätslehre so etwas wie eine Erklärung der christlichen Gotteslehre, eine theologisches Modell, um über das Wesen Gottes und seines Handelns nachzudenken. Der Heidelberger Theologe Härle spricht von einer Meta-Theorie zur Gotteslehre (Zeitzeichen, 6/2008). Wenn wir von Gott im christlichen Sinne sprechen, sprechen wir von einem Gott in dreierlei Gestalt. Gott als Vater erfahren wir anders als im Beispiel seines Sohnes und auch im Wirken des Heiligen Geistes erkennen wir das Handeln Gottes wider. Immer jedoch ist es der selbe Gott, den wir hier verehren.

    Nach Jahrhunderten des Streits über das wahre Wesen Christi kristallisierte sich bis ins sechste Jahrhundert hinein die Trinitätslehre heraus. Sie erklärt und fasst zusammen, wie uns in Christus mehr begegnet als ein normaler Mensch und wie Gott doch in Jesus absolut menschliche Gestalt annahm, ja wie wir Menschen in der Nachfolge Christi durch die Kraft des Heiligen Geistes zu Gott finden können.

    Die menschliche Seite Gottes

    Für mich ist diese menschliche Seite Gottes immer wichtig gewesen, ja vielleicht überhaupt eines der Wesenszüge des Christentums, das es von anderen Religionen unterscheidet, allen voran dem Judentum und dem Islam. Gott macht den entscheidenden Schritt auf uns Menschen zu, überwindet die Grenze zwischen dem Göttlichen und Geschöpflichen, indem er selbst Geschöpf wird. Gott schlägt damit die Brücke zu uns Menschen, damit wir durch die Nähe unseres Bruders Jesus Christus den Weg zu Gott finden können.

    Gott in christlichem Sinne ist darum mehr als der allmächtige Herrscher, er ist mehr als ein König im Himmel, er ist viel näher als wir denken, er ist unter uns, ja er ist sogar in uns, Gottes unausprechlicher Name gewinnt Gestalt, sein bildloses Wesen findet ein Gesicht im Menschen Jesus Christus. Die Erhabenheit Gottes im Islam ist faszinierend, die Ehrfurcht vor dem unaussprechlichen Namen Gottes im Judentum ist vorbildlich. Und doch spüre ich die Nähe und die Zärtlichkeit zu diesem Gott, der wie ein Vater, wie eine Mutter mein Leben begleitet, gerade im Christentum. Der menschenfreundliche Gott, der dem Leben eines jeden Menschen, sei es ein Christ, Jude, Moslem oder Atheist seine Würde verleiht, ist mir in all den Jahren meines Lebens immer wichtiger geworden.

    Ein theologisches Konstrukt

    Die Trinitätslehre ist dabei ein theologisches Konstrukt. Ein Kunstgebilde, ich möchte sagen ein Gedankenspiel, das dieses besondere Wesen Gottes abbilden möchte. Kein Dogma – das wir glauben müssen, ein Modell, das uns helfen möchte, Gott zu verstehen. Denn Gott lebt in Beziehungen. Er bleibt nicht für sich. Das pulsierende dreimal Eine möchte uns in Bewegung bringen, möchte uns mit hinein nehmen in diese Beziehung, zu der wir alle gehören dürfen. Menschen jeder Herkunft und jeden Geschlechts.

    Was Theologen in vielen Jahrhunderten des Nachdenkens über den Glauben formuliert haben, ist der Bibel nicht fremd. Zwar finden wir die Trinitätslehre nirgendwo in der Bibel ausdrücklich erwähnt. Dennoch gibt es viele Stellen, die diese nahe legen. Die besondere Herkunft Jesu, die in den Geburtsgeschichten des Matthäus- oder Lukasevangeliums erzählt werden, ebenso wie das Bekenntnis zur Sohnschaft des Gottessohnes, des Messias Jesus, legen schon die Spur. Das besondere Verhältnis Jesu zu Gott („abba, liebe Vater“) und die Wirksamkeit des Heils in Jesus Christus („Ist dieser nicht Gottes Sohn?“) machen aus Jesus im christlichen Bekenntnis von vornherein mehr als einen besonderen Menschen oder einen begnadeten Propheten. Er ist mehr als das. Er ist mit Gott verbunden. In ihm erscheint uns Gottes Wesen selbst. Das Johannesevangelium bringt diese Vorstellung auf den Punkt. Jesus sagt dort von sich selbst: „Wer mich sieht, sieht den Vater“ (Joh. 14) und der Tröster (sprich der Geist) hilft uns, Jesus als den Sohn des Vaters zu erkennen.

    Der Bibel nicht fremd

    Nein, die Trinitätslehre ist mehr als eine Erfindung der Theologen des 3. bis 6. Jahrhunderts. Sie ist eine konsequente Auslegung des biblischen Zeugnisses von Jesus Christus. Zwar wurde sie in ihrer konkreten Gestalt erst nach und nach entfaltet. Doch schon im Neuen, vielleicht auch schon im Alten Testament, finden wir Ansätze dazu, die sie später nahelegen. Die Predigtreihen zum Sonntag Trinitatis führen einige der bekanntesten Stellen auf. Der dreifache aaronitischen Segen wird uns in jedem Gottesdienst zum Schluss zugesprochen. Und der dreifache apostolische Gruß eröffnet ihn.

    Die Grußformel aus dem zweiten Korintherbrief spricht in überraschender Deutlichkeit von der Dreiheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist. „Die Gnade unseres Herrn, Jesus Christus“ heißt es da „und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes, sei mit euch allen.“ (2.Kor. 13,13). Gnade, Liebe und Gemeinschaft sind dabei die innere Verbindung dieser Dreiheit. Das eine erwächst aus dem anderen. Gnade schenkt Liebe, und Liebe ermöglicht Gemeinschaft. Das Wesen Gottes besteht in der Kraft der liebenden Begegnung.

    Gott nimmt uns, die Heiligen, wie Paulus sagt, mit hinein in diese Bewegung. Trinität bedeutet: Gott bleibt nicht für sich in seiner Hoheit und Majestät, seiner unermesslichen Größe und Weisheit. Nein, Gott teilt sein Wesen mit uns Menschen in seiner Gnade, er nimmt uns gleichsam mit hinein in sein Wesen. Und die Gnade Gottes begegnet uns in seinem Sohn Jesus Christus. Das Wesen Gottes ist, nach der Grußformel aus dem zweiten Korintherbrief, Liebe. Weil Gott liebt, kann er nicht für sich alleine bleiben. Liebe sucht das Gegenüber, Liebe verschenkt sich, teilt sich anderen mit, geht in anderen auf. Darum schenkt dieser Geist der Liebe Gemeinschaft, Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Wo wir die Gnade der Liebe, der göttlichen Liebe in unserem Leben erfahren dürfen, da finden Menschen zusammen zu einer tieferen Gemeinschaft, einer Liebesgemeinschaft.

    Das Geheimnis Gottes

    Läßt sich die Trinität also verstehen? Verstehen vielleicht nicht. Erfahren jedoch schon. Und anbeten erst recht: „Geheimnis Unseres Gottes, der Du uns in dreifach verschiedener Weise immer wieder begegnest und doch immer wieder der gleiche liebende Gott bist, Vater, Sohn und Heiliger Geist.“ Amen.

    Achim Fürniss, Backnang