Kategorie: Nachgedacht

  • Was ist Glück?

    Was ist Glück?

    Wie kann ich glücklich sein? Kein anderes Thema scheint uns mehr zu beschäftigen als dieses. Es gibt so vieles, was uns eigentlich glücklich machen sollte. Aber sind die Menschen deshalb heute glücklicher?

    Was kann ich tun, um glücklich zu sein? Kein anderes Thema scheint unsere Gesellschaft heute mehr zu beschäftigen als dieses. Es gibt so vieles, was uns eigentlich glücklich machen sollte: wir haben meist mehr als wir zum Leben brauchen, wir haben die reelle Chance auf ein gesundes und langes Leben und wir dürfen uns über viele Annehmlichkeiten des Lebens erfreuen, von denen Menschen anderswo nur träumen können. Und dennoch lässt sich in unserem Land ein eigenartiges Phänomen entdecken. Die Menschen sind nicht glücklicher geworden mit dem Wohlstand. Im Gegenteil: Sie scheinen das Gefühl des Glücklichseins, des ausgefüllten und gelungenen Lebens mehr zu vermissen als je zuvor.

    Eine lange Liste von Ratgebern scheint den glücklosen Menschen unserer Zeit Nachhilfeunterricht in Sachen Glück zu versprechen. „Sorge dich nicht, lebe“ heißt es in dem Bestseller von Dale Carnegie. Seine Empfehlung zum Thema: „Dem Leben Richtung geben“.

    Andere geben den Rat: „Loslassen und glücklich sein“. Unser Leben scheint zu voll, zu überladen von allem. „Simplify your life“ fordert uns der christliche Karikaturist Werner Küstenmacher und der Unternehmensberater und Zeitsparer Werner Seiwert auf. Alles läuft auf die eine Frage hinaus, die immer mehr Menschen in der Welt des Überflusses bewegt: „Was brauche ich wirklich?“ – auch ein Buchtitel, der uns empfiehlt, inneren und äußeren Ballast abzuwerfen und wieder unbeschwert zu leben (Hildegard Kessel, Was ich wirklich brauche).

    „Es gibt nur zwei Wege zum Glück“, lehrt uns der Dalai Lama, ebenfalls Bestsellerautor in Sachen Glück. „Der erste ist äußerlich“, schreibt er, wir erreichen ihn durch bessere Lebensbedingungen, die uns ein gewisses Maß an Glück und Zufriedenheit bescheren, uns aber immer wieder unbefriedigt lassen, wenn es an der Befriedigung ermangelt. Wir brauchen stets neue Befriedigungen und werden nie genug bekommen, auch wenn wir schon mehr als genug davon besitzen. Der erste Weg kann nie ohne den zweiten auskommen: Das ist der innere Weg der geistigen Entwicklung. Die luxuriöseste Umgebung kann uns nicht zufrieden stellen, wenn wir nicht auch diesen Weg zum Glück kennen; „Wenn wir geistigen Frieden haben, dann können wir Glück auch unter den schwierigsten Umständen finden“, schreibt der Friedensnobelpreisträger.

    Eine eigenartige Form des Glückes ist es auch, die uns Jesus zu Beginn seiner Bergpredigt in den Seligpreisungen gibt (Matth. 5,1-10). Er preist die Menschen glücklich, die wir für die Unglücklichsten unter uns halten würden: die Armen, die Hungrigen, die Leidgeprüften oder die Verfolgten. Eigentlich ist das alles so ziemlich das Gegenteil von dem, was wir als Glück bezeichnen würden. Es befremdet uns, gerade in der Entbehrung den Weg zum Glück zu erkennen. Wer es selbst je erfahren hat, kann ein Lied davon singen, dass Armut kein erfreulicher Zustand ist. Oder Hunger, ein Zustand, den immer noch ein unerträglich großer Teil der Weltbevölkerung ertragen muss. Auch Verfolgung ist ein schlimmes Schicksal. Wenn man sich an keinem Ort sicher fühlen kann und stets in Angst leben muss. Man wird hier wohl kaum von Glück reden können.

    Jedenfalls wissen diese Menschen, was sie nicht haben und wonach sie sich mehr denn je sehnen. Das könnte Jesus gemeint haben, wenn er ihnen das Glück zuspricht. Es wäre dann so etwas wie eine Verheißung für ihr geschundenes Leben, ein Funke Hoffnung für ihr trostloses Dasein. Wer die Armut kennen gelernt hat, der weiß selbst den kleinsten Reichtum zu schätzen; wer selbst einmal den Hunger erlitten hat, der kann auch dem einfachsten Stück Brot noch etwas ausgesprochen Wertvolles abgewinnen; wer selbst immer wieder in seiner Gutmütigkeit ausgenutzt wurde, der wird sich darüber freuen, dass Menschen wie ihm das Erdreich zugesprochen wird.

    Es ist wohl schon so, dass die Erfahrung des Glücks mit der Erfahrung des Mangels zu tun hat. Aber müssen wir darum auf alles verzichten, um glücklich zu sein? Müssen wir uns das Unheil geradezu herbeiwünschen, um das Heil zu erfahren? Nein, ich denke nicht. Jesus liebt es einfach, die Dinge umzudrehen. Das Reich Gottes, das mit seinem Kommen anbricht, besteht darin, dass es die Welt auf den Kopf stellt: „Die ersten werden die letzten sein und die letzten die ersten; und wer mir nachfolgt, wird nicht herrschen, sondern dienen“.

    Das ist eine durchaus realistische Erfahrung auf dem Weg zum Glück. Wenn wir nicht immer die Schnellsten auf der Autobahn sein müssen, dann können wir ganz ruhig und gelassen unseren Weg ziehen und dabei durchaus zufriedener und glücklicher sein. Wir müssen uns auch nicht ständig über die Dinge aufregen, wie wir ohnehin nicht ändern können. Dann können wir das Glück empfinden, die Dinge so zu sehen wie sie sind.

    Und wenn wir nicht alles haben müssen, weil die anderen haben, dann werden wir die glückliche Erfahrung machen, dass wir ohne dieses oder jenes genauso oder noch glücklicher sein können. Dabei kann es wirklich eine entlastende Erfahrung sein, unser Leben zu vereinfachen und uns von den Dingen in unserem Leben zu trennen, die uns das Leben unnötig schwer machen.

    Drehen wir die Sätze einfach wieder herum, wie es Judith Sixel in ihren Versen getan hat, und dann verstehen wir vielleicht was Jesus meinte:

    • „Selig, die bereit zum Aufbruch sind,
      denn in ihnen wird neues Leben aufbrechen,
      selig, die ein Ziel haben, das höher ist als sie,
      denn sie haben Grund nach oben zu schauen.“

    Die Seligpreisungen sind die Eröffnungssätze zu Jesu Rede über seine Vorstellung vom ganz anderen, neuen Leben im Reiche Gottes. Da wird uns zunächst ganz viel zugesprochen. Und denen noch viel mehr, die wenig haben. Wir können wachsen, weil wir empfangen, wir können getröstet sein, weil wir Zuspruch erhalten haben. Wir können uns satt fühlen, weil wir so reichlich empfangen haben, dass wir das Glück mit anderen teilen können. Und wir können ohne Angst leben auch in der größten Bedrohung, weil wir die Herrschaft Gottes über diese glücklose Welt schon längst als unser Glück erkannt haben.

    Was ist also Glück? Wie können wir Zufriedenheit und Erfüllung in unserem Leben finden? Wir werden es wissen, wenn wir den Weg mit den Armen teilen, wenn wir den Menschen nahe sind, die Leid erfahren, wenn wir denen Raum geben, die verfolgt werden, oder die Hungrigen mit unserem Überfluss sättigen.

    Glück lässt sich dort erfahren, so die Seligpreisungen Jesu, wo wir es am wenigsten erwarten. Indem wir teilen, was uns geschenkt wurde, indem wir weitergeben, was auch uns beglückt hat, indem wir erfahren, welch überwältigende Erfahrung es ist, einen anderen Menschen glücklich zu machen.

    Achim Fürniss

  • Magnificat: Das Loblied der Erniedrigten

    Magnificat: Das Loblied der Erniedrigten

    Das Magnificat als Loblied auf das Kommen des Herrn, der Umkehrung der Verhältnisse und das Vorbild einer jungen Frau…

    Wir lieben sie und wir können sie trotzdem oft nicht mehr hören, die Advents- und Weihnachtslieder, die wir überall in diesen Tagen zu hören bekommen. Das älteste und vielleicht das erste aller Adventslieder ist jdoch schon zweitausend Jahre alt und ist den meisten Leuten leider unbekannt. 

    Liebhaber klassischer Musik oder des geistlichen Chorgesanges kennen es wohl aus den großartigen Kompositionen Antonio Vivaldis oder Johann Sebastian Bachs. Es ist als Chorwerk bekannt geworden unter dem Lateinischen Namen des ersten Wortes dieses Liedes: Magnificat (Erhoben sei). Und nur wer sich intensiv mit spirituellen Wegen beschäftigt weiß, dass dass das Lied im Stundengebet seit Jahrhunderten jeden Abend mit der Vesper gesungen wird.

    Bibelkundige kennen das Lied als Lobgesang der Maria im schönen ersten Kapitel des Lukasevangeliums, ein herrlicher, farbiger und würdiger Auftakt zur Geschichte der Geschichten. „Meine Seele erhebet den Herrn“ Magnificat anima mea, ich will ihn groß machen, will ihn loben, der das Geringe und Verachtete anschaut und aufrichtet. Es steht in Lukas 1 die Verse 47 bis 56.

    Meine Seele erhebt den Herrn,
    und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes;
    denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.
    Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.
    Denn er hat große Dinge an mir getan,
    der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
    Und seine Barmherzigkeit währet für und für
    bei denen, die ihn fürchten.
    Er übt Gewalt mit seinem Arm
    und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
    Er stößt die Gewaltigen vom Thron
    und erhebt die Niedrigen.
    Die Hungrigen füllt er mit Gütern
    und lässt die Reichen leer ausgehen.
    Er gedenkt der Barmherzigkeit
    und hilft seinem Diener Israel auf,
    wie er geredet hat zu unsern Vätern,
    Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit.

    2.

    Zwei Frauen begegnen sich: Die ältere, Elisabeth, erwartete endlich ein Kind. Schon so lange hatte sie darauf gewartet. Wie viele Gebete hatte sie heimlich zu Gott gesprochen, er möge ihr doch endlich ein Kind schenken. Fast zu alt für eine Geburt darf sie nun das Glück erfahren, einem Kind das Leben schenken zu dürfen. Und nun war es so weit. 

    Und auch die jüngere, Maria, erwartet ein Kind. Sie ist eigentlich noch zu jung dafür, gerade einem Mann versprochen, in jugendlichem Alter. Völlig unerwartet wird sie schwanger, trägt das belastende Geheimnis der nahen Geburt nun in sich, wird es bald nicht mehr verbergen können. Elisabeth, eine Verwandte der Maria (Lk. 1,36), vielleicht ihre Tante, wird sie verstehen.

    Und auch im Größeren stehen Elisabeth und Maria für das Alte und das Neue, für ein endendes und ein beginnendes Zeitalter. Johannes, der Sohn Elisabeths wird der letzte der Propheten genannt werden, der die nahe Ankunft des Gesalbten Herrn ankündigen wird. Über Jahrhunderte hatten die Propheten vom kommenden Zeitalter geweissagt, nun ist es ganz nahe herbei gekommen. 

    In Jesus, dem Sohn der Maria, erfüllt sich ihre Weissagung. Das Zeitalter der Erfüllung bricht an.

    Die Zeit des Wartens, die so lange schwanger ging, die Schmerzen und Wehen ertragen musste, sie geht nun zu Ende. Wer die Hoffnung auf eine Erfüllung der frohen Botschaft der Propheten mit sich trug, und wer unter dem Leid, der Gewalt und der Grausamkeit unserer Welt gelitten hatte, wird nun in der Geburt dieser beiden Kinder in seiner Hoffnung bestärkt. Es kommt völlig überraschend, für beide Mütter bricht es in ihre Welt hinein, ist plötzlich da. Und wie immer wenn ein Kind geboren wird, wird es unsere Welt verändern.

    3.

    Magnificat. Das Lied das Maria singt, erinnert an das Loblied der Hanna im ersten Buch Samuel. Und so gesehen könnte es ursprünglich eher das Lied der Elisabeth gewesen sein. Ausleger vermuten das 1, denn Elisabeth ging es ja wie Hanna, der Frau Elkanas, die einfach keine Kinder bekommen konnte. Wenn wir uns vergegenwärtigen, wie sehr der Status einer Frau in früheren Zeiten mit der Geburt ihrer Kinder verbunden war, allzumal der Söhne,dann können wir verstehen wie es Hanna oder auch Elisabeth erging.

    Hanna wird nach langem Warten ein Sohn geschenkt, Samuel ist sein Name, „Ich habe ihn vom Herrn erbeten“. Mit Samuel beginnt die lange Reihe der Propheten, die mit der Hoffnung auf das Kommen des Reiches Gottes in einem gerechten Herrscher verbunden waren. Samuel ist es, der die ersten Könige salbt, Saul und David, unvergesslich ist sein Name mit dem Geschlecht Davids verbunden, aus dem auch Jesus später hervorgeht.

    „Mein Herz ist fröhlich in dem HERRN, 
    mein Haupt ist erhöht in dem HERRN.
    Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde,

    denn ich freue mich deines Heils.
    Es ist niemand heilig wie der HERR,

    außer dir ist keiner, und ist kein Fels, wie unser Gott ist. …
    Der Bogen der Starken ist zerbrochen,

    und die Schwachen sind umgürtet mit Stärke.
    Die da satt waren, müssen um Brot dienen, 
    und die Hunger litten, hungert nicht mehr. 
    Die Unfruchtbare hat sieben geboren, 
    und die viele Kinder hatte, welkt dahin. …
    Der HERR macht arm und macht reich; 
    er erniedrigt und erhöht.
    Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub 
    und erhöht den Armen aus der Asche, 
    dass er ihn setze unter die Fürsten 
    und den Thron der Ehre erben lasse. …
    Er wird behüten die Füße seiner Heiligen, 
    aber die Gottlosen sollen zunichte werden in Finsternis;
    denn viel Macht hilft doch niemand.
    …Der HERR wird richten der Welt Enden. 
    Er wird Macht geben seinem Könige 
    und erhöhen das Haupt seines Gesalbten.“

    (aus 1. Samuel 2, 1-10)

    Die Ähnlichkeit ist verblüffend und es wird wieder einmal deutlich wie stark die Verfasser der Evangelien die Geschichte und Botschaft Jesu als Vollendung, als Erfüllung der Verheißung gesehen haben.

    Was Hanna, die Mutter Samuels, ganz zu Beginn der messianischen Verheißung gesungen hat, wird von Maria, der Mutter Jesu, des Christus, des Gesalbten!, zum Ausdruck gebracht. Wie das Kind nach langen Monaten des Wartens nun endlich da ist, so wird auch die Verheißung, die Hoffnungen der Menschheit auf Erlösung, auf Friede und Umkehr der Verhältnisse nun endlich wahr werden. Magnificat, gelobt sei der Name des Herrn. Da hüpft das Kind im Bauche der Elisabeth, der Mutter des letzten der Propheten. Vom messianischen Geist erfüllt, preist sie die Mutter des Herrn: „Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes“ (V. 42), „selig bist du. Die du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist vom Herrn“ (V45)

    4.

    Eine der schönsten Auslegungen des Magnifacts, des Loblieds der Maria, stammt von Martin Luther, die er in den Reformationsjahren 1521 geschrieben hat. Es überrascht immer wieder mit welcher Hingabe der junge Luther von der Mutter Jesu redete: „So macht es auch hier die feine Mutter Christi und lehrt uns durch das Beispiel ihrer eigenen Erfahrung und durch ihre Worte, wie man Gott erkennen, lieben und loben soll.“2 Erst nach und nach verliert sich das Gedächtnis und die Verehrung der Mutter Jesu im protestantischen Bereich. Auch über die Reformation hinaus wurden die Marienfeste Mariä Lichtmess (2. Februar), Mariä Verkündigung (25. März) und Mariä Heimsuchung (2. Juli) als Gedenktage im evangelischen Bereich gefeiert. Doch erst mit der Aufklärung verschwinden die Marienfeste aus dem protestantischen Bewusstsein und unser Text wandert vom 2. Juli auf den 4. Advent kurz vor Weihnachten. 3

    Luthers Auslegung kreist um die Hoheit Gottes und die Demut Mariens. Entscheidend ist dabei die Blickrichtung. Während wir Menschen immer auf das Erhabene, auf das Wertvolle, auf das Edle und Noble schauen, schaut Gott auf das Niedrige, das Verachtete, das Verlorene. Der Blick der Menschen gehe immer nur nach oben, sagt Luther. Sie richteten sich nach den Mächtigen, nach den Menschen mit Ruhm und alle würden sie da oben gerne sitzen und mit dazu gehören. „Die Augen der Welt und der Menschen .. sehen nur über sich und wollen durchaus sich nach oben hin richten“ sagt Luther. „Das erfahren wir täglich, wie jedermann nur über sich hinausstrebt nach Ehre, Gewalt, Reichtum, Wissen, Wohlleben und allem, was groß und hoch ist“.4

    Gottes Blickrichtung ist eine andere. Gott, der der höchste ist und dem niemand gleich ist schaut darum nicht nach oben und auch nicht auf seine Höhe; sein Blick richtet sich immer nur nach unten. „Daher kommt’s, dass Gottes Augen nur in die Tiefe, nicht in die Höhe sehen … Denn weil er der Allerhöchste ist und es nichts über ihm gibt, kann er nicht über sich sehen; er kann auch nicht neben sich sehen, weil ihm niemand gleich ist. Darum muss er notwendig in sich selbst und unter sich sehen, und je tiefer jemand unter ihm ist, desto besser sieht er ihn.“ Diese Blickrichtung Gottes, die sich besonders den niederen, den verachteten und verlorenen Menschen zuwendet ist den gewöhnlichen Menschen fremd. „Niemand will in die Tiefe sehen, wo Armut, Schmach, Not, Jammer und Angst ist; da wendet jedermann die Augen weg“ stellt Luther fest 5.

    Wie wenig sich da bis heute geändert hat. „Wo solche armen und elenden Leute sind, da läuft jedermann davon, da flieht, da scheut, da verlässt man sie, und niemand denkt daran, ihnen zu helfen, beizustehen und zu machen, dass sie auch etwas sind.“ Dabei hat Gott doch schon am Anbeginn aus dem Nichts in der Schöpfung alles erschaffen. Zu ihm fließt das Lob wieder zurück, hinauf zum Schöpfer, wie ihn Maria preist. Nicht sich selbst will sie erheben, sondern Gottes Lob erhebt ihre Seele, ihn will sie groß machen. Darum muss ihr Sohn auch ganz hinab in die Verlorenheit, muss Schmach, Folter und Tod erleiden, auf dass Gott gerade hier unter den niedersten und verlorensten Menschen sein Werk der Liebe wirke.

    Maria wird uns darin ein Vorbild, weil sie in ihrer Niedrigkeit dennoch die Worte Gottes in sich aufnimmt und Gott dadurch wirken lässt. Und trotzdem ist es nicht sie, auf das sich unser Blick lenken soll, sondern Gott selbst, der durch sie handelt. Luther dazu: „was meinst du, dass ihr Lieberes begegnen mag, als dass du durch sie zu Gott kommst und an ihr lernst, auf Gott zu trauen und zu hoffen, wenn du auch verachtet und vernichtet wirst, worin immer das geschehe im Leben oder Sterben? Sie will nicht, dass du zu ihr kommst, sondern du, durch sie, zu Gott.“ 6

    5.

    Maria unser Vorbild? Gerade arme und rechtlose Menschen mögen sich mit ihr verbunden fühlen. „Viele Christen in Lateinamerika bringt sie ihre geraubte und geschändete Ehre wieder. Sie ist eine von ihnen. Sie stammt aus der Favela, (aus dem einfachen Volk). Sie zieht umher und ist verbannt wie sie. In ihr erkennen sie sich wieder, die verstoßen sind wie sie und die von den Behörden keine Rücksicht erfahren trotz Schwangerschaft und Niederkunft – wie sie.“ 7

    „Sie, diese junge Frau und Mutter verschweigt nicht, dass unmenschliche Machtverhältnisse die Menschen beherrschen“ 8 Wie schon die Blickrichtung Gottes eine andere ist als die der Menschen, so spricht das Lobgebet der Magd Gottes von einer Umkehrung der Verhältnisse: Gott holt die Mächtigen von Thron und setzt die niedrigen ins Recht. Er beschenkt die Hungrigen mit seinen Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen (V52+53). „Wer so singen kann, muss vor den Gewaltigen nicht verstummen.“ 9 „Es war folgerichtig, wenn in Lateinamerika Anhänger der Befreiungstheologie Bilder von Maria und Drucke ihres ‚Magnificat‘ bei sich trugen. Die demütige Madonna (wie sie die katholische Kirche immer gern predigte A.d.R) eine Umstürzlerin?“ 10

    Für den Evangelisten Lukas, dessen Evangelium gerne als das Evangelium der Armen bezeichnet wird, ist dieses Lied zu Beginn seiner Geschichte Jesu fast wie ein Programm. Maria nimmt hier die Reich Gottes Botschaft Jesu schon vorweg. Und der Weg zum Kreuz ist damit ebenso schon vorgezeichnet. Gott wendet sich den Schwachen zu und wird selber schwach dabei, wir haben es vorhin in der Lesung des Apostel Paulus gehört. 

    Was also können wir von Maria lernen? Was hat uns das altehrwürdige Magnificat heute noch zu sagen? Wer in seinem Leben versucht, Einfluss, Besitz und sein Image zu bewahren, der wird nicht so sprechen können wie Maria. „Er wird die Sprengkraft, die in diesen Worten steckt, abwehren, versuchen sie umzudeuten – oder aber, er lässt sich verunsichern und beginnt sein Leben zu überdenken. Gottes Barmherzigkeit geht an den ‚Niedrigen‘ nicht vorbei, sondern kommt in ihnen selbst zum Zuge (vgl. Lk. 6,20ff). Das Wissen darum gibt Menschen die Kraft, sich nicht zufrieden zu geben mit dem, was sie vorfinden. (In einem Graffito an der Berliner Mauer war zu lesen) ‚Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt‘ (Graffito an der Berliner Mauer).“ 11

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    (1) „Es ist eine offene Frage, ob er (sc. der neutestamentliche Pslam a.d.R.) ein Lied der Elisabeth war und erst zu einem solchen der Maria geworden ist oder ob er von Anfang an als Lied der Maria gedacht war. Einige Texte lesen: ‚Elisabeth sprach’“ Für die Zuordnung zu Elisabeth sprächen die Anklänge an das Hannalied, deren Lage der Elisabeth und nicht der Maria entspreche und die prophetische Inspiration der Elisabeth. Vgl. Walter Grundmann, Das Evangelium nach Lukas ThHK NT, Bd 3, Berlin 1961, 9.Aufl. 1981, S. 63f)

    (2) Martin Luther, Das Magnifikat, Band 9 der Calwer Ausgabe, Stuttgart 1996, S.26

    (3) Peter Kreyssig in Predigtstudien I, 1990, S. 43

    (4) Luther a.aO. S. 24

    (5) ebenda

    (6) Luther, aaO. S. ?

    (7) Rolf Steinhilper, Evang. Morgenfeier am 2.11.1986 in SDR1

    (8) ebenda

    (9) ebenda

    (10) Arnd Bäucker, Junge Frau mit sich im Reinen, Sonderbeilage Stuttgarter Nachrichten, Weihnachten 2003

    (11) Annette Boley in Predigtstudien I,1, Stuttgart 1996 S.41

    Bild: Magnificat im Tauffenster der Walterichskirche in Murrhardt. Foto: beim Verfasser

  • Trinität – nur ein Gedankenspiel?

    Trinität – nur ein Gedankenspiel?

    Das schwierige Nachdenken über die christliche Trinitätslehre und das Wesen des biblischen Gottesbildes…

    Vom Heilgen Patrick, dem Apostel der Iren wird erzählt, dass er in den düsteren Zeiten des frühen Mittelalters die Stammesfürsten der Iren und den Hochkönig von Cashel mit einem dreiblättrigen Kleeblatt vom Mysterium der Dreieinigkeit überzeugt haben soll. Noch heute tragen Iren ein Sträußchen des hoch wachsenden irischen Klees am St. Patricksday (17. März) mit sich. Und immer, wo sich mehr als drei Iren an diesem Tag treffen, wird jenem Heiligen ein Fest gefeiert, egal wo man sich begegnet auf dieser Welt.

    Schwierige Vorstellung

    Die drei Blätter an der selben Pflanze symbolisieren die Einheit und die Verschiedenheit des Göttlichen. Und immer wieder kommt man in Verlegenheit , wenn man erklären soll, wie man sich das vorzustellen habe. Ist Gott nicht einer – wieso begegnet man ihm dann in verschiedener Gestalt? Von Moslems zurückgewiesen, von Skeptikern belächelt, für Zweifler ein unlogischer Unsinn, von Kritikern des Christentums abgelehnt, gehört die Trinitätslehre dennoch zu den Lieblingsthemen der christlichen Theologie.

    Freilich, die einfachen Gläubigen tun sich schwer damit. In Umfragen über das Wissen über die christlichen Glaubensinhalten rangiert die Trinitäslehre auf einer der unteren Plätze. Nur sieben Prozent in einer SPIEGEL-Umfrage geben an, mit der Dreieinigkeit etwas anfangen zu können. Für viele andere ist sie schlichtweg unnötig.

    Nicht verstehen, sondern anbeten

    Was bedeutet also Trinität und warum hat sie solch eine große Bedeutung, dass man das halbe Kirchenjahr die Sonntage nach dem Fest Trinitatis benennt.

    Der Reformator Philipp Melanchthon meinte einmal, man solle die Trinität nicht ergründen sondern anbeten. („Mysteria divinitatis rectius adoraverimus quam investigaverimus“. Zu deutsch: „Die Geheimnisse der Gottheit sollten wir lieber anbeten statt sie ergründen zu wollen.“ In den Loci Communes von 1521). So taufen wir Kinder auch auf den dreieinigen Gott, beginnen jeden Gottesdienst im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, bekennen Gott mit dem dreigliedrigen Glaubensbekenntnis und beenden den Gottesdienst mit einer dreifachen Segensbitte.

    Erklärung des biblischen Gottesbildes

    Doch auch das stellt uns nicht ganz zufrieden. Wollen wir doch verstehen, was wir glauben und uns nicht einfach mit einer Formel zufrieden geben, die uns seit Jahrhunderten zwar vertraut, aber dem Inhalt nach fremd geblieben ist.

    Für die Theologie ist die Trinitätslehre so etwas wie eine Erklärung der christlichen Gotteslehre, eine theologisches Modell, um über das Wesen Gottes und seines Handelns nachzudenken. Der Heidelberger Theologe Härle spricht von einer Meta-Theorie zur Gotteslehre (Zeitzeichen, 6/2008). Wenn wir von Gott im christlichen Sinne sprechen, sprechen wir von einem Gott in dreierlei Gestalt. Gott als Vater erfahren wir anders als im Beispiel seines Sohnes und auch im Wirken des Heiligen Geistes erkennen wir das Handeln Gottes wider. Immer jedoch ist es der selbe Gott, den wir hier verehren.

    Nach Jahrhunderten des Streits über das wahre Wesen Christi kristallisierte sich bis ins sechste Jahrhundert hinein die Trinitätslehre heraus. Sie erklärt und fasst zusammen, wie uns in Christus mehr begegnet als ein normaler Mensch und wie Gott doch in Jesus absolut menschliche Gestalt annahm, ja wie wir Menschen in der Nachfolge Christi durch die Kraft des Heiligen Geistes zu Gott finden können.

    Die menschliche Seite Gottes

    Für mich ist diese menschliche Seite Gottes immer wichtig gewesen, ja vielleicht überhaupt eines der Wesenszüge des Christentums, das es von anderen Religionen unterscheidet, allen voran dem Judentum und dem Islam. Gott macht den entscheidenden Schritt auf uns Menschen zu, überwindet die Grenze zwischen dem Göttlichen und Geschöpflichen, indem er selbst Geschöpf wird. Gott schlägt damit die Brücke zu uns Menschen, damit wir durch die Nähe unseres Bruders Jesus Christus den Weg zu Gott finden können.

    Gott in christlichem Sinne ist darum mehr als der allmächtige Herrscher, er ist mehr als ein König im Himmel, er ist viel näher als wir denken, er ist unter uns, ja er ist sogar in uns, Gottes unausprechlicher Name gewinnt Gestalt, sein bildloses Wesen findet ein Gesicht im Menschen Jesus Christus. Die Erhabenheit Gottes im Islam ist faszinierend, die Ehrfurcht vor dem unaussprechlichen Namen Gottes im Judentum ist vorbildlich. Und doch spüre ich die Nähe und die Zärtlichkeit zu diesem Gott, der wie ein Vater, wie eine Mutter mein Leben begleitet, gerade im Christentum. Der menschenfreundliche Gott, der dem Leben eines jeden Menschen, sei es ein Christ, Jude, Moslem oder Atheist seine Würde verleiht, ist mir in all den Jahren meines Lebens immer wichtiger geworden.

    Ein theologisches Konstrukt

    Die Trinitätslehre ist dabei ein theologisches Konstrukt. Ein Kunstgebilde, ich möchte sagen ein Gedankenspiel, das dieses besondere Wesen Gottes abbilden möchte. Kein Dogma – das wir glauben müssen, ein Modell, das uns helfen möchte, Gott zu verstehen. Denn Gott lebt in Beziehungen. Er bleibt nicht für sich. Das pulsierende dreimal Eine möchte uns in Bewegung bringen, möchte uns mit hinein nehmen in diese Beziehung, zu der wir alle gehören dürfen. Menschen jeder Herkunft und jeden Geschlechts.

    Was Theologen in vielen Jahrhunderten des Nachdenkens über den Glauben formuliert haben, ist der Bibel nicht fremd. Zwar finden wir die Trinitätslehre nirgendwo in der Bibel ausdrücklich erwähnt. Dennoch gibt es viele Stellen, die diese nahe legen. Die besondere Herkunft Jesu, die in den Geburtsgeschichten des Matthäus- oder Lukasevangeliums erzählt werden, ebenso wie das Bekenntnis zur Sohnschaft des Gottessohnes, des Messias Jesus, legen schon die Spur. Das besondere Verhältnis Jesu zu Gott („abba, liebe Vater“) und die Wirksamkeit des Heils in Jesus Christus („Ist dieser nicht Gottes Sohn?“) machen aus Jesus im christlichen Bekenntnis von vornherein mehr als einen besonderen Menschen oder einen begnadeten Propheten. Er ist mehr als das. Er ist mit Gott verbunden. In ihm erscheint uns Gottes Wesen selbst. Das Johannesevangelium bringt diese Vorstellung auf den Punkt. Jesus sagt dort von sich selbst: „Wer mich sieht, sieht den Vater“ (Joh. 14) und der Tröster (sprich der Geist) hilft uns, Jesus als den Sohn des Vaters zu erkennen.

    Der Bibel nicht fremd

    Nein, die Trinitätslehre ist mehr als eine Erfindung der Theologen des 3. bis 6. Jahrhunderts. Sie ist eine konsequente Auslegung des biblischen Zeugnisses von Jesus Christus. Zwar wurde sie in ihrer konkreten Gestalt erst nach und nach entfaltet. Doch schon im Neuen, vielleicht auch schon im Alten Testament, finden wir Ansätze dazu, die sie später nahelegen. Die Predigtreihen zum Sonntag Trinitatis führen einige der bekanntesten Stellen auf. Der dreifache aaronitischen Segen wird uns in jedem Gottesdienst zum Schluss zugesprochen. Und der dreifache apostolische Gruß eröffnet ihn.

    Die Grußformel aus dem zweiten Korintherbrief spricht in überraschender Deutlichkeit von der Dreiheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist. „Die Gnade unseres Herrn, Jesus Christus“ heißt es da „und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes, sei mit euch allen.“ (2.Kor. 13,13). Gnade, Liebe und Gemeinschaft sind dabei die innere Verbindung dieser Dreiheit. Das eine erwächst aus dem anderen. Gnade schenkt Liebe, und Liebe ermöglicht Gemeinschaft. Das Wesen Gottes besteht in der Kraft der liebenden Begegnung.

    Gott nimmt uns, die Heiligen, wie Paulus sagt, mit hinein in diese Bewegung. Trinität bedeutet: Gott bleibt nicht für sich in seiner Hoheit und Majestät, seiner unermesslichen Größe und Weisheit. Nein, Gott teilt sein Wesen mit uns Menschen in seiner Gnade, er nimmt uns gleichsam mit hinein in sein Wesen. Und die Gnade Gottes begegnet uns in seinem Sohn Jesus Christus. Das Wesen Gottes ist, nach der Grußformel aus dem zweiten Korintherbrief, Liebe. Weil Gott liebt, kann er nicht für sich alleine bleiben. Liebe sucht das Gegenüber, Liebe verschenkt sich, teilt sich anderen mit, geht in anderen auf. Darum schenkt dieser Geist der Liebe Gemeinschaft, Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Wo wir die Gnade der Liebe, der göttlichen Liebe in unserem Leben erfahren dürfen, da finden Menschen zusammen zu einer tieferen Gemeinschaft, einer Liebesgemeinschaft.

    Das Geheimnis Gottes

    Läßt sich die Trinität also verstehen? Verstehen vielleicht nicht. Erfahren jedoch schon. Und anbeten erst recht: „Geheimnis Unseres Gottes, der Du uns in dreifach verschiedener Weise immer wieder begegnest und doch immer wieder der gleiche liebende Gott bist, Vater, Sohn und Heiliger Geist.“ Amen.

    Achim Fürniss, Backnang