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Mit den Augen Jesu sehen

von Achim Fürniss | |   Menschenkinder

Um 1850 suchte Gustav Werner einen dritten Weg zwischen dem Sozialismus und der Ausbeutung durch das Kapital. Die Fabrik als Tempel Gottes blieb letztendlich jedoch eine Illusion. 2009 wäre er 200 Jahre alt geworden ...

Mit den Augen Jesu sehen

Das bedeutete für Gustav Werner (1809-1887): die Not der Menschen zu seiner Zeit sehen, die Armut, die Arbeitslosigkeit, die Not der Arbeitsunfähigen. Besonders aber lagen ihm die verwahrlosten Kinder am Herzen, mit denen er seine Arbeit begann.

Eigentlich wollte Gustav Werner Pfarrer werden. Er wurde am 12. März 1809 in Zwiefalten geboren, ging in Maulbronn aufs Seminar und studierte im Stift in Tübingen Theologie. Doch schon im Studium wurde ihm klar, daß die besondere Sicht des Men­schen bei Jesus in der Liebe besteht. Liebe ist die Kraft Gottes, die die Welt durchwaltet, und die es zu stärken gilt. Und wo die Liebe wirkt, da entsteht auch Gerechtigkeit. Liebe und Gerech­tigkeit herrschen im Reiche Gottes. Und dafür wollte sich Gustav Werner einsetzen, damit das Reich Gottes auf unserer Erde wächst.

 

Ein rebellischer Vikar

Aber die Welt sah damals (und auch heute) anders aus. Seine Zeit war eine arme Zeit. Kriege hatten das Land verunsichert, viele Menschen zogen es vor auszu­wandern, Mißernten brachten Hunger ins Land. Die aufblühende Industrie mit ihren neuen Maschinen machte aus Handwerkern und Bauern plötzlich arme Leute. Über die Jahre reifte in dieser Zeit Werners Entschluss. Für ihn stand fest, daß der christliche Glaube nur dann einen Wert hat, wenn er zur Tat wird. Das Motto Gustav Werners lautete daher: "Was nicht zur Tat wird, hat keinen Wert."

 

Alles begann 1838, als Werner in Walddorf bei Tübingen Vikar war. Als dort eine arme Frau starb, die sechs unversorgte Kinder hinterließ, setzte sich Werner für die Kinder ein. Die Kinder, die er nicht bei anderen Leuten unterbringen konnte, nahm er bei sich auf. Andere Kinder kamen hinzu, und Frauen aus der Gemeinde halfen bei der Betreuung. So entstand seine erste 'Rettungsanstalt' für unversorgte Kinder. In zahlreichen Vorträgen und Predigten warb er nun um seine Vorstellung des christlichen Glaubens aus der Tat. Doch gerade das brachte ihn in Schwierigkeiten mit der Kirche. Bevor es zum Bruch kam, ging Werner lieber selbst.

 

Die Enstehung des Bruderhauses

1840 zog Gustav Werner mit zehn Kindern von Walddorf nach Reutlingen. Er bezog dort mit zwei Gehilfinnen eine 5-Zimmer-Wohnung. So entstand das Reutlinger Bruderhaus. Aus einem Kreis von jungen Helfern kamen seine ersten Hausgenossen. Sie brachten ihr ganzes Vermögen ins Bruderhaus ein, arbeiteten umsonst und verbrachten ihr ganzes Leben dort. Als Gegenleistung erhielten sie freie Unterbringung und Verköstigung sowie eine sichere Versorgung bis ins Alter hinein.

 

Schon bald (1842) konnte ein größeres Haus bezogen werden mit 30 Kindern und 5 Mitarbeitern. Als sich die Arbeit jedoch ausweitete, erkannte Gustav Werner, dass es nicht ausreichte, Arme allein zu unterstützen. Er wollte den Armen keine Almosen geben, sondern Arbeit. Sollte Christus in unserer Welt zur Herrschaft kommen, dann musste er da einziehen, wo das Leben der modernen Welt bestimmt wird, nämlich in der Industrie.

 

Die Fabrik als Tempel Gottes

Er erkannte wie kaum ein anderer die Folgen der industriellen Revolution, und er war fest entschlossen, Christus in den modernen Fabrikhallen zum Siege zu bringen. Die Fabrik, die ihm vor Augen schwebte, sollte ein 'Tempel Gottes' sein, eine christliche Fabrik, "in der es weder der Arbeitgeber, noch der Arbeitnehmer auf persönlichen Gewinn abgesehen hat, sondern alles zum Wohl der Armen geschieht". 1850 kauft er eine leer stehende Papierfabrik in Reutlingen, die 1851 feierlich eingeweiht wurde. Das Werk weitete sich bald aus. Aus den Handwerksbetrieben der Reparaturwerkstatt entstand die Maschinenfabrik. Fast wäre sie zur Wiege des Automobils ge­worden, da Gottlieb Daimler von 1865-1869 ihr Technischer Leiter war, seine "ausgefallenen Ideen" aber in ihr nicht verwirklichen konnte.

 

Überall im Lande wurden nun, Zweiganstalten errichtet. Gustav Werner wollte gerade in ärmlichen ländlichen Gebieten Arbeit in seinen Bruderhäusern in der Landwirtschaft bieten und Bedürftige in den Häusern aufnehmen. In weni­gen Jahren gründete er 32 Zweiganstalten in ganz Württemberg.

 

Ein Ehrgeiziges Projekt

Sein ganzes Interesse aber galt damals einem ehrgeizigen Projekt: der neuen Papierfabrik in Dettingen im Ermstal. Diese Fabrik sollte in ihrem Ausmaß und Qualität alle anderen übertreffen, und sie sollte mit den an­deren Fabriken den Beweis erbringen, dass eine Fabrik nach christlichen Grundsätzen geleitet werden konnte: kürzere Arbeitszeiten, gesicherte Kranken- und Altersversorgung, Beteiligung der Arbeiter am Gewinn. Alle hatten ihren Platz in der Fabrik, auch die 'halben Kräfte'. Mit all dem war Werner seiner Zeit weit voraus.

 

84 männliche und 143 weibliche Hausgenossen lebten zu dieser Zeit im Bruderhaus. 866 Arbeiter hatten die Fabriken. Und 216 Pfleglinge (Alte und Gebrechliche) lebten in seinen Häusern, dazu 437 Kinder und Jugend­liche - insgesamt 1746 Personen.

Doch für das Unternehmen in Dettingen musste er hohe Kredite aufnehmen. Die Bruderhaus-Leute gaben ihr Letztes her. Hatte er den Bogen überspannt? Wollte er das Reich Gottes auf Erden erzwingen?

 

Die große Krise

Im Sommer 1862 kam es zur Krise. Die Banken gaben kein Geld mehr, und Gustav Werner konnte seine Rechnungen nicht mehr bezahlen. Er war pleite.

Zur äußeren Krise kam die innere: Gustav Werner verkaufte seinen letzten Silberlöffel, und er dachte daran, mit seinem ganzen Werk auszuwandern. Dazu machte er sich schwere Vorwürfe, das große Werk durch seine ehrgeizigen Pläne gefährdet und Gott versucht zu haben. Hatte er nie an seine Hausgenossen, Kinder, Arbeiter und Pfleglinge gedacht? Beste Freunde wandten sich von ihm ab. In dunklen Stunden war Werner alt geworden.

Das Werk konnte jedoch durch die Hilfe vieler Spender und durch die Hilfe des Königshauses gerettet werden. Doch es gehörte nun einem Aktienverein, deren Vorstand Gustav Werner wurde. Doch er litt unter den Einschränkungen. In dieser Zeit setzte er seine ganze Hoffnung auf den Sieg des Reiches Gottes.

Am 2. August 1887 verstarb er - krank und alt. Seine letzten Worte waren: "Nur treu, nur treu!"

 

Pfarrer Achim Fürniss, Backnang,
war von 1989 bis 1991 als Diakonievikar im Bruderhaus Reutlingen

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Altersbildnis von Gustav Werner - von der Krise gezeichnet