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Talitha koum - Mädchen steh auf!

Dürfen wir heute noch an Wunderge­schichten glauben, wie sie im Neuen Testament erzählt werden? Oder klammern wir diese aus, deuten sie psychologisch um oder sehen sie nur noch als ethischen Ansporn zur Heilung mit modernen medizinischen Mitteln? Eine etwas andere Sicht darauf finden wir in einem Bereich der neueren Forschung, die die Heilmethoden Jesu und seiner Jünger mit den Heilkünsten ihrer Zeit vergleicht. Die Heilungsgeschichten werden so zumindest etwas verständlicher und manches Detail erlaubt eine ganz neue Sicht auf die Heilungen Jesu, seiner Jünger und der frühen Kirche. Immerhin: die größte Zahl der Geschichten, die von Jesus ich im Neuen Testament erzählt werden, sind Wundergeschichten; sie machen sozusagen den "Löwenan­teil" der Erzählungen aus, vor den Gleichnissen. (1) Sie zu überlesen würde bedeuten, ihnen nicht die Bedeutung zuzumessen, die ihnen die Autoren des Neuen Tes­tamentes gegeben haben.

 

1. Uraltes Heilwissen

Schauen wir zunächst auf eine Geschichte, die in Markus 8, 22 – 26 erzählt wird. Jesus heilt hier einen Blinden in Betsaida, indem er ihm Speichel auf seine Augen gibt und seine Hände auf sie legt. Die Heilung geschieht schrittweise und nicht sofort. Erst erkennt der Blinde nur Umrisse; deshalb muss Jesus noch einmal die Hände auflegen, bis der Blinde wieder richtig sehen kann. Ein paar Details mögen erhellen, wie Jesus dabei vorgeht. Er nimmt den Blinden erst bei der Hand, um sein Vertrauen zu gewinnen. Dann führt er ihn aus dem Dorf hinaus zu einem Ort abseits seiner normalen Lebenswelt. Wir wissen aus anderen Berichten aus der Zeit Jesu, dass das Heilen mit Speichel bei erblindeten Augen in der antiken Volksmedizin weit verbreitet war. (2)

 

In Johannes 9, 1-8 wird erzählt, wie Jesus bei einer Blindenheilung ein Gemisch aus Erde und Speichel verwendet. In der medizinischen Literatur der Antike finden wir immer wieder Hinweise auf dieses Vorgehen.(3) Jesus unterscheidet sich dadurch nicht von anderen Krankenheilern seiner Zeit. Dass ihm die Heilung gelingt, unterstreicht aber die besondere Kraft, die von ihm ausgeht. Die Nähe Jesu hat wohl schon allein heilende Wirkung. Besonders beachtenswert finde ich jedoch die Tatsache, dass Jesus um die Heilmethoden seiner Zeit weiß. Wie kommt Jesus dazu? Woher hat er dieses Wissen?

 

2. Geprägte Formeln?

Die besonderen Züge der Heilmethoden Jesu werden auch an einer weiteren Geschichte deutlich (Mk. 5, 22-24 und 35-43). Es ist eine anrührende Geschichte, wie Jairus, der fromme Vorsteher einer Synagoge, ihn in seiner letzten Verzweiflung bittet, sich seiner sterbenskranken Tochter zuzuwenden. Wie schon bei den Freunden, die den Gelähmten zu Jesus bringen, ist es auch hier das vertrauende Bitten der Angehörigen, das die Heilung in Gang bringt. Die fürbittende Zuwendung von Menschen aus dem Umfeld von Kranken ist bei den Kräften, die zur Heilung führen, nicht zu unterschätzen. Jesus lässt sich gerne bitten, doch hier scheint er zu spät zu kommen. Die besondere Dramatik dieser Geschichte ergibt sich auch daraus, dass das zwölfjährige Mädchen unmittelbar vor Erreichen des Heiratsalters zu sterben droht.

 

Die Heilung geschieht nun im vertrauten Rahmen wieder durch die Berührung und den Worten, die ihr Jesus zuspricht. Seine heilende Berührung ist uns schon in den anderen Geschichten aufgefallen. Offenbar kennen seine Hände heilende Kräfte, wie sie auch von anderen Menschen aus anderen Kulturkreisen geschildert werden. Noch verwunderlicher sind die Worte, die er zu ihr spricht: „Talitha koum“. Markus übersetzt: Mädchen, steh auf. Das wohl aus dem Aramäischen stammende Heilungswort ist den griechisch sprechenden Lesern des Markusevangeliums nicht vertraut. Schon die Tatsache, dass Markus das Wort überliefert, deutet an, dass es sich bei dem Wort um eine fest geprägte Formel handelt. Im babylonischen Talmud finden wir sie wieder als eine Formel, die neben der Verabreichung eines Heilmittels zu sprechen ist gegen den Blutfluss: „Steh auf (koum) von deinem Blutfluss“ (4).

Eine interessante Parallele hierzu ist eine Geschichte, die in der Apostelgeschichte von der Auferweckung einer jungen Frau durch den Apostel Petrus in Joppe erzählt wird (Apg. 9, 36-43). Sie soll den Namen Tabitha gehabt haben. Es ist durchaus möglich, dass hier der Name der Geheilten in Wirklichkeit auf die Worte verweist, die der Schüler Jesu, Petrus, hier bei seiner Heilung benutzt: Falitha (und nicht Tabitha), koum! (5).

 

3. Alte Kirche als heilende Kirche

Wendet Jesus also festgeprägte Heilformeln an und gibt er diese an seine Jünger weiter? Wir wissen noch viel zu wenig über die Hintergründe der Heilungen im Neuen Testament. Sicher wollen die Geschichten der Erweckung der Tochter des Jairus durch Jesus sowie der Totenerweckung der Tabitha durch Petrus die Macht der Auferstehung, die sich durch Christus erweist, aufzeigen. Dass sie aber auch wertvolle Hinweise auf die Heilmethoden Jesu und seiner Jünger enthalten, ist ein wertvolles Detail über die ganz besondere Begabung, die sowohl Jesus als auch seine Jünger sehr vielen Menschen zugewendet haben.

 

Die Kirchenväter Tertullian und Origenes wissen noch im dritten Jahrhundert um die besondere Begabung, die von Jesus und der ersten Christenheit ausging. „Dämonenaustreibungen und Krankenheilungen waren ein entscheidender Grund für die Ausbreitung des Christentums, das gleichermaßen Heil und Heilung bot.“ (6)

In der Aussendungsrede beauftragt Jesus seine Jünger, so wie er es tat, Kranke zu heilen (Mt. 10, 7-9). Beachten Sie dabei, dass die Jünger, die Jesus zur Heilung aussendet, diese Leistung unentgeltlich zu tun haben. Der Wortlaut der Aussendungsrede, aber auch Notizen aus den Korintherbriefen des Apostels Paulus lassen heute noch erkennen, dass es in der Urchristenheit einen Stand der Wandercharismatiker gab, die Heilungen vollzogen und dafür von den Gemeinden unentgeltlich beherbergt wurden. Paulus schildert diese Gaben der Urchristenheit im Gabenkatalog 1. Kor. 12, 7-11. Gleichzeitig distanziert er sich auch von ihnen und den Wandermissionaren, die sein Wirken in Frage stellen. Im Gegensatz zu ihnen hält er wenig von Wundertaten und beansprucht auch keinen Unterhalt durch die Gemeinde. Immer wieder betont er den Umstand, dass er seinen Unterhalt durch seiner Hände Arbeit selbst verdiene. Paulus widersprach also der Auffassung, ein Apostel müsse sich in erster Linie durch Wunder auszeichnen. Seine Gegner meinen deshalb, er vertrete einen „anderen Jesus“ (2. Kor. 11, 4).

 

4. Auf Distanz zum Wunder

Es ist auffällig, wie die verschiedenen Schichten des Neuen Testamentes sich nach und nach vom Wunderheilen distanzieren. In der späteren neutestamentlichen Tradition wird das Charisma der Krankenheilung an das kirchliche Amt gebunden und fällt in den Aufgabenbereich der Presbyter, der Ältesten (Jak. 5, 14-16). Das Gebet der Gemeindeältesten und eine Ölsalbung sollen die Kranken gesund machen.

 

Fazit

Zusammenfassend lässt sich nach diesem kurzen Überblick über Heilungen im Neuen Testament sagen: Jesus heilt durch Berührung, durch Zuwendung und Nähe. Er benutzt dabei offensichtlich Techniken und Formeln, die er von Heilern aus seinem Umfeld übernommen hat, und gibt diese an seine Jünger weiter. Die Befähigung zur Heilung und der Aufweis von Wundern wirkt als einer der Erfolgsfaktoren des jungen Christentums. Besonders das gegenüber antiken Wunderheilern kostenlose Heilen der Wandercharismatiker führt den Gemeinden viele neue Menschen zu.

 

Die junge Kirche Jesu Christi profiliert sich also vornehmlich als HEILENDE Kirche. Glaube und Heilung sind in ihr ungetrennt. Oft wird sogar gerade im Namen Jesu geheilt. So heilt Petrus in der Apostelgeschichte einen Gelähmten durch Anrufung des Namens Jesu und seiner Kraft: „Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, geh umher“ (Apg.3, 1-10). Heil und Heilung sind in den Schriften des Neuen Testamentes eins. Der wunderwirkenden Kraft des Glaubens an Jesus Christus bringen die Menschen auch noch in der frühen Christenheit ihr ganzes Vertrauen entgegen. Kann Glaube heilen? Die hier genannten Beispiele würden das bejahen.

 

weiter...

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ANMERKUNGEN:

 

1 "Wunder machen einen Löwenateil der Jesustradition aus und werden darin nicht einmal von den Gleichnissen übertroffen" Bernd Kollmann, Neutestamentliche Wundergeschichten, Kohlhammer Urban-Taschenbücher, Stuttgart 2002, S.57

2 Kollmann, aaO. S.74

3 Kollmann aaO.

4 Ebenda S. 90

5 Morton Smith, Jesus der Magier

6 Kollmann, aaO., S. 105

Jesus: Heilung durch Dämonenaustreibung?